November­pogrome
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1938 in Niedersachsen

Varel

In Varel wohnten nachweislich seit 1686 jüdische Familien, die damit den Beginn dauerhafter neuzeitlicher Ansiedlung von Juden im Oldenburger Land markierten. Bis Ende des 18. Jahrhunderts war Varel die größte jüdische Gemeinde im Oldenburger Land. Mit knapp über 100 Personen erreichte sie im 19. Jahrhundert ihren zahlenmäßigen Höchststand, blieb damit aber im protestantisch dominierten Varel – ähnlich wie die Katholiken – eine kleine konfessionelle Minderheit.

Bis Anfang des 19. Jahrhunderts waren die Juden gezwungen, ihre gottesdienstlichen Versammlungen zunächst in Privathäusern christlicher Vareler Mitbürger abzuhalten. Ab 1805 konnten sie die Gottesdienste im Haus ihres Gemeindevorstehers abhalten. 1843 begannen die Planungen für eine eigene Synagoge, die am 28. Juli 1848 feierlich eingeweiht wurde.

Die jüdische Gemeinde in Varel bestattete ihre Mitglieder seit Beginn des 18. Jahrhunderts auf einem eigenen Friedhof im Ortsteil Hohenberge. Er liegt auf dem Rest eines eiszeitlichen Sandhügels. Die erste Bestattung fand vermutlich 1702 statt, die erste aktenkundige Erwähnung datiert von 1711. Er ist der älteste erhaltene jüdische Friedhof im Oldenburger Land. 121 Grabsteine sind noch vorhanden, die letzte Bestattung fand 1942 statt.

Im Zusammenhang mit den Emanzipations- und Gleichstellungsbestrebungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts konnten einzelne jüdische Bürger Mitglieder der kommunalen Gremien werden, sie integrierten sich in verschiedenen bürgerlichen Vereinen, gründeten wohltätige Stiftungen und waren auch in liberalen politischen Organisationen aktiv. Der Vareler Kaufmann Gustav Schwabe-Barlewin wurde bekannt als Begründer der zionistischen Bewegung in Nordwestdeutschland.

Nach dem Ersten Weltkrieg wirkten in Varel die von militantem Antisemitismus geprägten deutschnationalen und völkischen Organisationen. Im April 1928 wurde eine NSDAP-Ortsgruppe gegründet. Bereits bei den Reichstags- und Kommunalwahlen im September bzw. November 1930 erzielte die NSDAP deutliche Wahlerfolge. Im Vareler Stadtrat errang sie die Hälfte der Sitze. Stellvertretender Bürgermeister wurde der Kaufmann Hans Flügel, der u.a. die Funktionen eines NSDAP-Ortsgruppenleiters, Bezirksleiters und von 1934 bis 1945 NSDAP-Kreisleiters für den Landkreis Friesland bekleidete. Bei den Reichs- oder Landtagswahlen bis 1933 lagen die Wahlergebnisse für die NSDAP in der Stadt Varel immer über dem jeweiligen Reichs- bzw. Landesdurchschnitt.

Ab 1933 drängten die Nationalsozialisten die jüdische Bevölkerung von Varel zunehmend aus dem gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben des Ortes. Antisemitische persönliche Übergriffe und Anfeindungen wie auch Schmierereien oder Sachbeschädigungen an Wohn- bzw. Geschäftshäusern waren für die Vareler Juden an der Tagesordnung.

Etliche jüdische Familien verließen schon vor Herbst 1938 die Stadt, darunter das Ehepaar Weiss, Besitzer eines Kaufhauses in der Innenstadt, die Angehörigen der „Leder-Schwabes“, Besitzer und Betreiber einer über Varel hinaus bekannten Leder- und Triebriemenfabrik, sowie die Familie Schwabe-Barlewin.

Im Herbst 1938 zählte die Gemeinde nur noch 20 Mitglieder, darunter die Bewohner des Jüdischen Altenheimes in der Schüttingstrasse 13.

Postkarte mit Schild „Juden sind hier nicht erwünscht!“ am Ortseingang von VarelDangast. Undatiert, Mitte der 1930er Jahre. Sammlung Frerichs

Postkarte von 1887 mit Foto der Synagoge.
Heimatverein Varel

90 Jahre lang war die Synagoge der Mittelpunkt des jüdischen Gemeindelebens. Am 4. und 5. November 1938 wurden dort die letzten Gottesdienste abgehalten. Über den Ablauf der Brandstiftung und die Zerstörung des Gebäudes sind folgende Sachverhalte bekannt:

Der NSDAP-Kreisleiter in Friesland, Kaufmann Hans Flügel aus Varel, war in der Nacht gegen 0:30 Uhr von einer am Vorabend (9. November) in Zetel durchgeführten Parteiveranstaltung nach Varel zurück gekehrt. Noch vor Betreten seines Wohnhauses in der Mühlenstrasse 2 bekam er die Nachricht, die NSDAP-Gauleitung in Oldenburg wolle ihn dringend sprechen. Flügel rief dort an und bekam den Kreisleiter von Oldenburg-Stadt, Wilhelm Engelbarth, an den Apparat. Engelbarth teilte ihm mit, der in München weilende Gauleiter Röver habe ihm soeben verkündet, dass in dieser Nacht überall in Deutschland Synagogen in Brand gesteckt würden und Röver dies auch im Gau Weser-Ems wünsche.

Flügel habe noch in dieser Nacht die beiden im Landkreis Friesland befindlichen Synagogen in Brand zu setzen. Gemeinsam mit seinem Stellvertreter in der Kreisleitung, Deckoffizier a. D. Hans Hahn aus Varel, fuhr Flügel aber zunächst in die ins 30 Kilometer entfernte  Kreisstadt Jever, da dort die Zahl der jüdischen Bürger größer war und sich auch wegen des Baues des Fliegerhorstes in Upjever eine größere Zahl ortsfremder Personen aufhielt.

Nachdem Flügel den jeverschen NSDAP-Ortsgruppenleiter und andere NS-Funktionäre entsprechend instruiert hatte, kehrten beide nach Varel zurück. Zu diesem Zeitpunkt brannte die Synagoge in Varel bereits.

Wie die späteren Ermittlungen im Strafprozess vermuten lassen, müssen Flügel oder Hahn entweder vor ihrer Abfahrt nach Jever noch entsprechende Anweisungen erteilt haben, oder aber die Führung der Vareler SA-Standarte 19 bzw. des SS-Sturmes in Varel hatte über eigene Befehlskanäle Anweisungen erhalten und ausgeführt.

Nach den Feststellungen im Ermittlungsverfahren und Strafprozess erfolgte die Brandstiftung in Varel am 10. November zwischen 2:30 und 3 Uhr morgens.

Die Vareler Feuerwehr wurde in der Nacht zum Brandort alarmiert, schaute dem Brand aber – in krassem Gegensatz zum traditionellen Berufsethos – tatenlos zu. Sie beschränkte sich darauf, die in der Umgebung befindlichen Häuser „deutscher Volksgenossen“ vor eventuellem Funkenflug zu schützen.

Der Verbleib des wertvollen Inventars der Synagoge und der jüdischen Gemeindearchivalien konnte bis heute nicht geklärt werden. Allerdings wurde im Jahre 2005, fast 70 Jahre nach der Pogromnacht dem Vorsitzenden des Heimatvereines Varel der bis dato in Privatbesitz befindliche Schlüssel der Synagoge übergeben. Der Stifter des Objektes wollte anonym bleiben.

In der Nacht vom 9./10. November 1938 kam es auch zu einzelnen Beschädigungen von Grabsteinen auf dem jüdischen Friedhof in Hohenberge, darunter vor allem an der Grabstätte der Familie Schwabe-Barlewin.

Angehörige der Vareler SA, die zur Gruppe Nordsee bzw. Standarte 19 gehörte, hatten den Auftrag erhalten, alle jüdischen Einwohner zu verhaften, die Wohnungen und Geschäftsräume zu durchsuchen und jüdisches Eigentum zu konfiszieren. Zu diesem Zwecke bildeten sich „Aufholtrupps“ in Stärke von bis zu fünf SA-Männern. Bis auf zwei Ausnahmen wurden alle jüdischen Bürger im Verlauf des 10. November 1938 zwischen 3 und 5 Uhr morgens (in einem Fall noch um kurz vor 10 Uhr) von diesen „Aufholtrupps“ gewaltsam in das damalige Polizeigefängnis Varel (Schloßplatz/Schulstrasse) eingeliefert. Außer den 18 Varelern kam ein weiterer jüdischer Bürger aus dem Ort Neuenburg (Gemeinde Friesische Wehde) ins Gefängnis. Alle Einlieferungen sind im Register des Polizeigefängnisses dokumentiert.

Bei der Durchführung der Verhaftungsaktionen wurden viele der Opfer beschimpft und teils misshandelt, ebenso kam es im Gefängnis zu einzelnen gewaltsamen Übergriffen. Ferner wurden bei den Verhaftungen am 10. November den Betroffenen Geld und Wertsachen abgenommen. Das geschah noch im Gefängnis. Einrichtungsgegenstände in den Privatwohnungen der jüdischen Bürger fielen dem SA-Vandalismus zum Opfer, Schaufensterscheiben der jüdischen Geschäfte wurden zertrümmert und im weiteren Verlauf des Tages kam es zu Plünderungen. Besonders im Altenheim in der Schüttingstrasse sowie beim Kaufhaus Neumann in der Drostenstrasse kam es zu entsprechenden Vorfällen.

Alle in der Pogromnacht inhaftierten weiblichen Personen wurden am 10. November gegen 14.00 Uhr aus dem Polizeigefängnis wieder nach Hause entlassen, von den Männern lediglich Ludwig Frank aus der Hansastrasse, der die niederländische Staatsbürgerschaft besaß, und ein Bewohner des jüdischen Altenheims (Entlassungsgrund: „Alters- und Geistesschwäche“).

In diesem Gebäude hinter dem Vareler Amtsgericht (Schlossplatz) befand sich im November 1938 das örtliche Polizeigefängnis, die Zellen waren im Kellergeschoss. Aufnahme von 2018. Sammlung Frerichs

Für die verbliebenen sechs jüdischen Männer war die Verhaftung der Auftakt weiterer Schrecken: Vom Polizeigefängnis brachte sie die Gestapo am 11. November 1938 gegen 10 Uhr mit einem Autobus nach Oldenburg, wo alle männlichen jüdischen Bürger aus dem Freistadt Oldenburg, Ostfriesland und Wilhelmshaven versammelt wurden, die für den Transport in das Konzentrationslager Sachsenhausen vorgesehen waren.

Im Sonderzug der Reichsbahn, der unter Überwachung durch die Gestapo die Opfer über Bremen nach Berlin transportierte, trafen die aus Varel stammenden Opfer auch auf den bis Februar 1936 ebenfalls in ihrer Stadt wohnhaft gewesenen jüdischen Kaufmann Ludwig Weiss, der mit seiner Ehefrau nach Bremen verzogen war. Ludwig Weiß wurde auf dem Fußmarsch ins KZ Sachsenhausen derart misshandelt, dass er dort am 14. November 1938 tot aufgefunden wurde.

 

„Oldenburgische Staatszeitung“ vom 12./13. November 1938. Die NS-Zeitung log, denn die beiden Synagogen in Jever und Varel waren nicht von einer „erbitterten Volksmenge“ in Brand gesetzt worden. Auch sind Waren nicht von der SA „aufgenommen“ worden, um „Plünderungen zu vermeiden“. Offen berichtete das Blatt über die Verhaftung und den Abtransport der jüdischen Bürger aus beiden friesländischen Städten über Oldenburg in ein Konzentrationslager. Sammlung Frerichs

Die Freilassung der Verhafteten geschah in mehreren Wellen: Zunächst wurden Ende November 1938 alle ehemaligen jüdischen Frontsoldaten des Ersten Weltkrieges entlassen. Dann folgten zum 12. Dezember alle über 50 Jahre alten jüdischen Schutzhäftlinge. Bevorzugt wurden dann jene jüdischen Bürger aus der KZ-Haft entlassen, die konkrete Vorbereitungen für eine Ausreise nachweisen konnten; alle übrigen Häftlinge folgten schließlich bis Anfang 1939. Bei der Entlassung hatten die Häftlinge einen Revers zu unterschreiben, in dem sie sich unter Androhung von erneuter KZ-Haft verpflichteten, über alles im Lager Erlebte völliges Stillschweigen zu bewahren. Nach der Heimkehr in ihren Wohnort unterlagen sie der staatspolizeilichen Meldepflicht.

Nach der Pogromnacht folgte die Zwangsschließung bzw. „Arisierung“ der letzten verbliebenen jüdischen Geschäfte. Bis auf die Familie Visser und die Betreiber und Bewohner des jüdischen Altenheimes in der Schüttingstrasse verließen alle verbliebenen jüdischen Bürger die Stadt Varel und emigrierten – teils über Zwischenstationen – in die USA (Ehepaar Neumann, Familie Wolff), die Niederlande (Frank) und Südafrika (Ehepaar Rose).

Im Frühjahr 1940 fand unter Regie der Staatspolizeistelle Wilhelmshaven in Zusammenarbeit mit den Kommunalverwaltungen eine regionale Vertreibungsaktion statt. Das Weser-Ems-Gebiet sollte „judenfrei“ gemacht werden. Betroffen waren alle jüdischen Bürger in Ostfriesland und im Land Oldenburg. Nun musste auch die Familie Visser ihre Heimatstadt verlassen, es blieben nur die Bewohner des jüdischen Altenheimes in Varel. Sie wurden von der Staatspolizei im Oktober 1941 und Juli 1942 in die Gettos Łódź bzw. Theresienstadt deportiert.

Der jüdische Friedhof in Hohenberge überstand trotz der ab Herbst 1944 von der Gemeinde Varel-Land bereits intensivierten Ankaufs- und Verwertungsabsichten das Kriegsende bzw. Ende des NS-Regimes weitgehend unbeschadet. Das eiserne Tor sowie der eiserne Zaun des Friedhofes fielen jedoch einer „Metallsammelaktion“ des NS-Regimes zum Opfer, einige Grabsteine wiesen Beschädigungen auf, weitere Steine entwendete die Wehrmacht zum Bau von nahe gelegenen Flugabwehrstellungen.

Kurze Zeit nach der Zerstörung der Synagoge gab es erste Überlegungen über die weitere Verwendung des Grundstücks. Zunächst wurde erwogen, dem Deutschen Roten Kreuz in Varel die Liegenschaft an der Osterstrasse 10 kostenlos zur Verfügung stellen, um dort ein „Kolonnenhaus“ für die Sanitätsbereitschaft zu errichten. Dies Vorhaben scheiterte. Der Kaufmann Eduard Visser – einzig noch verbliebenes Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde Varel e.V. – war schließlich gezwungen, am 7. Februar 1939 einen Kaufvertrag mit dem praktischen Arzt Dr. Wilhelm Maaß über das Synagogengrundstück abzuschließen. Der vereinbarte Kaufpreis betrug 3750 Reichsmark. Die Übertragung des Eigentums ist im Grundbuch der Stadt Varel unter dem Datum 26. Mai 1939 dokumentiert.

Zunächst wollte Dr. Wilhelm Maaß auf dem Grundstück ein Wohnhaus mit Praxisräumen erstellen, doch kriegsbedingt konnte er den Bau auf Grund fehlender Baumaterialien nicht ausführen. Im Zweiten Weltkrieg wurde in der Osterstrasse 10 zunächst eine provisorische Unterkunftsbaracke aufgestellt. Ab 19. Juli 1943 bis Kriegsende war dort die Dienststelle des “Wehrmachtfürsorgeoffiziers Wilhelmshaven (A)” untergebracht.

Die Geschwister Ernst und Jette Weinberg wurden gemeinsam mit Bertha Gröschler und Mathilde Eichhold am 22. Oktober 1941 von Varel über Emden und Berlin in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) deportiert. Aufgrund der entsetzlichen Lebensbedingungen im Ghetto starb Jette Weinberg dort am 17. November 1941, ihr Bruder Ernst am 27. März 1942 und Frau Gröschler am 29. März 1942. Frau Eichhold wurde am 4. Mai 1942 aus dem Ghetto Łódź ins Vernichtungslager Kulmhof (Chełmno) transportiert und dort im Gaswagen ermordet. Lewin Brilling wurde am 14. November 1941 vom Altenheim in Varel in die „Heil- und Pflegeanstalt Sayn-Bendorf“ verlegt und von dort am 14. Juni 1942 ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.

Friedrica Vyth verließ im Mai 1939 das Altenheim und gelangte über Bottrop und drei „Heilanstalten“ in Münster, Lippstadt-Eickelborn und Gießen im Rahmen der „Euthansie-Aktion T 4“ in die Tötungsanstalt Brandenburg an der Havel, wo sie am 1.10.1940 mit Giftgas ermordet wurde.

Lina Hiffelsheimer wurde Mitte Juli 1940 aus Varel in das Philipps-Hospital nach Goddelau (Hessen) gebracht, wo sie kurze Zeit später, am 4. August 1940 verstarb.

Reline Bermann verließ im Februar 1939 Varel und gelangte zunächst nach Hamburg, von wo aus ihr am 26. Mai 1939 die Auswanderung nach Brasilien glückte.

Das Ehepaar Lesser und Rosi Neumann verließ Varel im Oktober 1939, lebte zuletzt in Berlin und konnte schließlich noch im August 1941 mit dem Schiff „Nevamar“ unter abenteuerlichen Bedingungen über Sevilla, Lissabon und Kuba in die USA emigrieren.

Auch das Ehepaar Willy und Rosalie Wolff und ihre Tochter Rosi – wie auch die bereits im Mai 1938 aus Varel nach Hamburg umgezogene Tochter Marga – überlebten durch rechtzeitige Emigration und Flucht in die USA. Die Eheleute und ihre Tochter hatten Varel bereits eine Woche nach dem November-Pogrom verlassen.

Rosa Bernheim wurde verzog Ende April 1939 zunächst nach Berlin und wurde von dort am 14. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt und am 29. September 1942 weiter ins Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet.

Die Eheleute Ludwig und Emilie Frank verließen Varel im Dezember 1938 und flüchteten zunächst nach Groningen in Holland zu ihrem Sohn Hans-Jakob. Nach der deutschen Besetzung Hollands gerieten sie erneut in die Fänge der NS-Schergen Über das Durchgangslager Westerbork wurden Eltern und Sohn Frank gemeinsam im Oktober 1942 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert und ermordet.

Sally und Frieda Rose verließen im Dezember 1938 ihre Heimatstadt Varel und konnten über Swaziland nach Süd-Afrika emigrieren.

Die Eheleute Eduard und Käthe Visser und ihre Tochter Ingeborg wurden im Zusammenhang mit einer „regionalen Entjudungsaktion“ der Staatspolizeistelle Wilhelmshaven im März 1940 zum Umzug nach Berlin gezwungen. Eduard Visser starb dort am 1. November 1941 und ist auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee begraben. Ehefrau Käthe wurde am 12. Januar 1943 mit dem „26. Osttransport“ aus Berlin nach Auschwitz deportiert und unmittelbar nach der Ankunft ermordet.

Tochter Ingeborg heiratete noch am 4. Oktober 1941 in Berlin-Charlottenburg David Friedmann (geboren 6. Mai 1921 in Berlin). Das Paar wohnte zuletzt in der Wilmersdorferstr. 32 in Berlin-Charlottenburg. Am 9. September 1942 wurde dort der Sohn Denny geboren. Die ganze Familie Friedmann gehörte am 3. Februar 1943 zu den mit dem „28. Osttransport“ aus Berlin nach Auschwitz Deportierten und dort ebenfalls sofort Ermordeten. Die Tochter Ruth überlebte, sie hatte bereits im Juli 1939 Varel verlassen und flüchtete zunächst nach Dänemark und 1943 weiter nach Schweden.

Ehepaar Eduard und Käthe Visser mit den Töchtern Ruth (links) und Ingeborg. Aufnahme ca. Mitte der 1930er Jahre. Ehepaar Lesser (Leo) und Rosi Neumann. Sammlung Frerichs

Lina Hiffelsheimer (links) und Reline Bermann. Sammlung Frerichs

Im März 1948 begann das Ermittlungsverfahren zur Pogromnacht und Synagogenbrandstiftung in Varel. Große Schwierigkeiten bereitete die Tatsache, dass einige der Brandstiftung verdächtige SS-Angehörige sowie SA-Funktionäre, aber auch der Polizeibeamte Wehrenberg und der stellvertretende Kreisleiter Hans Hahn entweder bereits gestorben, gefallen bzw. noch vermisst waren.

Im folgenden Prozess traten 30 Zeugen auf, auch einige Briefe von ins Ausland emigrierten Vareler Juden wurden verlesen (es handelte sich um Schreiben von Rosi Neumann, Willi Wolff und Ruth Wächter, geborene Visser). Der Verbleib weiterer wichtiger Zeugen unter den 1938 von den Vorfällen betroffenen jüdischen Bürgern konnte zu damaliger Zeit nicht geklärt werden.

Am 22. Juli 1948 wurde dem Niedersächsischen Minister der Justiz der Abschluss des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens mitgeteilt. Insgesamt wurden neunzehn Personen in Varel ermittelt, gegen die stärkere Verdachtsmomente aufgekommen waren. Am 6. März 1950 erhob die Staatsanwaltschaft vor dem Landgericht Oldenburg Anklage gegen folgende noch lebende Verdächtige:

Den landwirtschaftlichen Arbeiter Georg Heinrich Lübben, 52 Jahre, wohnhaft in Borgstede (Gemeinde Varel-Land); den Rechnungssteller und Rechtsbeistand Johannes Moritz Büppelmann, 52 Jahre, wohnhaft in Varel, Schulstrasse 12; den ehemaligen Gastwirt des „Schütting“, Ernst Wilhelm Karl Martins, 59 Jahre, wohnhaft in Langendamm (Varel-Land); den Baumeister Hermann Friedrich Karl Marschall, 42 Jahre, wohnhaft in Varel, Schüttingstrasse 7.

In seiner Sitzung am 27./28. Juli 1950 verurteilte das Schwurgericht des Landgerichts Oldenburg den Angeklagten Lübben wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit in Tateinheit mit Landfriedensbruch und Freiheitsberaubung in zwei Fällen zu einer Gefängnisstrafe von acht Monaten. Der Angeklagte Büppelmann erhielt wegen der gleichen Verbrechen eine Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, der Angeklagte Martins eine Gefängnisstrafe von einem Jahr. Die Angeklagten Lübben, Büppelmann und Martins hatten die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gegen den Angeklagten Marschall wurde das Verfahren auf Kosten der Staatskasse eingestellt. Büppelmann ging in erfolgreiche Revision, seine Strafe wurde 1952 auf die Hälfte reduziert, da der noch aus alliierter Gesetzgebung resultierende Tatbestand „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ im deutschen Strafrecht nicht mehr angewandt wurde.

Nach der Währungsreform 1948 errichtete der neue Grundstückseigentümer am früheren Standort der Synagoge ein Privathaus mit Praxisräumen. Mit Schreiben vom 20. Juni 1949 teilte das Bezirksamt Oldenburg des Niedersächsischen Landesamts für die Beaufsichtigung gesperrten Vermögens dem Grundbuchamt in Varel mit, dass das Grundstück Gegenstand eines entsprechenden Rückgabeantrages sei und damit der Sperre unterlag. Besitzänderungen, Belastungen oder Verfügungen irgendwelcher Art durften ohne Genehmigung des Landesamtes zunächst nicht vorgenommen werden. Anspruchsteller und Anspruchsgegner einigten sich schließlich nach einigem Hin und Her auf einen Vergleich, bei dem sich Dr. Maaß zur Zahlung eines finanziellen Ausgleichs verpflichtete und der Anspruchsteller (Jewish Trust Corporation) auf jegliche weitere Ansprüche verzichtete. Daraufhin wurde 1953 die Verfügungssperre über das Grundstück wieder aufgehoben; es befindet sich heute immer noch in Privatbesitz.

Bis in die zweite Hälfte der 1980er Jahre erinnerte in Varel nichts mehr an die jüdische Synagoge und ihre Zerstörung im November 1938. Erst im Zusammenhang mit dem bevorstehenden 50. Jahrestag der Pogromnacht wandte sich am 12. September 1988 der „Arbeitskreis Juden“ der gewerkschaftlichen Bildungsvereinigung „Arbeit und Leben“ an die Stadt Varel diese möge bis zum 9.11.88 eine der Bedeutung der ‚Reichspogromnacht‘ angemessene Gedenktafel in Erinnerung an die geschändete und niedergebrannte Vareler Synagoge aufstellen.

Der städtische Verwaltungsausschuss befürwortete zwar grundsätzlich den Antrag, hielt es aber für „unzumutbar“, die Tafel auf dem Grundstück der ehemaligen Synagoge selbst aufzustellen, da dieses Grundstück im Privatbesitz war.

Nach einigem Hin und Her beschloss der Stadtrat schließlich die Aufstellung auf dem gegenüber liegenden öffentlichen Schulgrundstück. Das Mahnmal mit der Gedenktafel für die zerstörte Synagoge wurde am 21. April 1990 vom damaligen Bürgermeister der Stadt Varel, Karl-Heinz Funke, offiziell übergeben, seither finden dort jährlich im November Gedenkveranstaltungen anlässlich der Pogromnacht 1938 statt.

Am 11. November 1999 beschloss der Vareler Stadtrat, den „Krankenhausweg“ – ein Fußweg zwischen Osterstrasse und der B 437 / Adolf-Heidenreich-Strasse – in „Synagogenweg“ umzubenennen. Anfang November 2014 wurde vom Arbeitskreis „Juden in Varel“ eine zusätzliche Informationstafel zur Geschichte der Synagoge erarbeitet und neben dem Synagogen-Mahnmal aufgestellt.

Grundstück Osterstrasse 10 mit dem nach der Währungsreform errichteten Privathaus, 2015. Sammlung Frerichs

Rudolf Brahms: Die Synagoge in Varel. In: Enno Mayer: Die Synagogen des Oldenburger Landes. Oldenburg 1988 (Oldenburger Studien Bd. 29). S. 161-195.

Rudolf Brahms: Geschichte einer ungeliebten Minderheit. Die Entwicklung einer jüdischen Gemeinde in Varel von ihren Anfängen im 17. Jahrhundert bis zu ihrem Untergang in nationalsozialistischer Zeit. Oldenburg 2006.

Herbert Obenaus in Zusammenarbeit mit David Bankier und Daniel Fraenkel: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen. Bd. 2. Göttingen 2005. Zu Varel Beitrag von Werner Vahlenkamp: S. 1493-1502.

Holger Frerichs: Varel unter dem Hakenkreuz. Texte und Dokumente zur Geschichte Varels 1933 bis 1945. Verlag Hermann Lüers Jever 2007.

Holger Frerichs: Spurensuche: Das jüdische Altenheim in Varel 1937-1942. Verlag Hermann Lüers Jever 2012.

Holger Frerichs: Geschichte der jüdischen Familie Schwabe-Barlewin aus Varel. Verlag Hermann Lüers, Jever 2018.

 

Website Arbeitskreis GröschlerHaus:

Faltblatt “Jüdisches Leben in Varel – ein historischer Stadtrundgang”

Varel: Die Synagoge und ihre Zerstörung 1938

Varel: Das Gefängnis als Ort des Pogroms von 1938

Varel: Der Jüdische Friedhof

Varel: Das jüdische Altenheim 1941/42: Abtransport zur Ermordung

Varel: Die Boykottaktion der Nazis gegen jüdische Geschäfte am 1. April 1933

Varel: Biografie von Ludwig und Rosa Weiss und das Kaufhaus in der Hindenburgstraße 3

Varel: Das Schicksal der jüdischen Familie Visser: Nur die Tochter Ruth überlebte den Holocaust