November­pogrome
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1938 in Niedersachsen

Sehnde

Die Stadt und selbstständige Gemeinde Sehnde bei Hannover wurde erstmals im Jahre 1147 urkundlich erwähnt. Die 15 Ortsteile, die heute die Gemeinde Sehnde bilden, teilten sich ursprünglich unter drei unterschiedlichen Grundherrschaften auf. Bis zur niedersächsischen Gebietsreform 1974 gehörten die Ortsteile Bolzum, Wehmingen und Wirringen zum Landkreis Hildesheim, Müllingen und Wassel zum Landkreis Hannover und die restlichen zehn Ortsteile (Bilm, Dolgen, Evern, Gretenberg, Haimar, Höver, Ilten, Klein Lobke und Sehnde) zum Landkreis Burgdorf.

Die erste Erwähnung jüdischer Familien in Sehnde lässt sich in das Jahr 1727 dokumentarisch zurückverfolgen. Hier lebten im Ortsteil Bolzum der Schlachter Salomon Nathan und sein 1757 zugezogener Schwiegersohn Meyer Levin mit ihren Familien. Bolzum gehörte damals noch dem Fürstbistum Hildesheim an, wodurch sie unter dem Status sogenannter Schutzjuden ein zweifaches Schutzgeld zu entrichten hatten. Einerseits gewährte der zuständige Bischof den Juden gegen ein Entgelt Schutz, andererseits war aber auch an die ortsansässigen Gerichtsherren, die eigenmächtig Juden aufnahmen, ein „Beiwohnergeld“ zu entrichten. Letzteres wurde auch weiterhin erhoben, als in den 1770er Jahren das Rittergut Bolzum in den Besitz des Hildesheimer Bischofs übergegangen war.

Aufgrund der günstigen Lage für den Handel innerhalb der lüneburgischen Amtsvogtei ließen sich weitere Familien dort nieder. 1846 gehörten der jüdischen Gemeinde acht Familien an. Hauptsächlich waren sie als Schlachter, Vieh-, Leder-, Korn- und Manufakturwarenhändler tätig. Seit 1825 unterhielt die Gemeinde einen eigenen jüdischen Friedhof und 1830 wurde sie auch offiziell als Synagogengemeinde im Amt Ruthe anerkannt. 1838 wurde in Bolzum eine Synagoge in der heutigen Marktstraße 25 errichtet.

Im Zuge der fortschreitenden Industrialisierung und des Ausbaus des Eisenbahnnetzes verschlechterten sich in der Folgezeit die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die gewerbetreibenden Juden, da Bolzum im Gegensatz zu Sehnde keinen eigenen Bahnanschluss erhielt. Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass sich die jüdische Gemeinde in Bolzum durch den Wegzug jüdischer Familien stetig verkleinerte, bis sie schließlich zur Jahrhundertwende nicht mehr existierte. 1902 wurde das Synagogengrundstück verkauft, der neue Besitzer ließ das Gebetshaus abreißen und die jüdische Gemeinde verlegte ihren Schwerpunkt in den Ortsteil Sehnde.

Dort hatte sich bereits ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die bäuerliche Struktur durch die fortschreitende Industrialisierung gewandelt. Im Zuge dieser Entwicklungen wandelte sich Sehnde von einer bäuerlich geprägten Dorfgemeinschaft zu einer Industriegemeinde mit einer klassenbewussten Arbeiterschaft, die sich auch in den Wahlergebnissen widerspiegelte. So entfielen bei den Reichstagwahlen im November 1932 im Sehnder Wahlbezirk jeweils ein Drittel der Stimmen auf die SPD (490 Stimmen) und KPD (359 Stimmen). Allerdings konnte auch die NSDAP (455 Stimmen) fast ein Drittel aller Stimmen für sich verbuchen.

Die alteingesessenen jüdischen Familien waren in der Sehnder Gemeinde beliebt und galten als patriotisch eingestellt, vorbildlich integriert und beteiligten sich rege am gesellschaftlichen Leben. So engagierten sich Paula und ihr 1932 verstorbener Ehemann Julius Königheim unter anderem in der freiwilligen Feuerwehr, dem Schützenverein oder dem Kyffhäuser-Soldatenbund. Die Geschwister Paula Königheim und Salli Schragenheim betrieben einen Textilhandel in der Nordstraße, in dem auch deren Neffen Julius und Hans Leo Brumsack aus Beverstedt arbeiteten.

Die ab 1933 einsetzenden Boykottmaßnahmen trafen auch die jüdischen Geschäftsleute in Sehnde schwer und die Umsatzeinbußen zwangen sie schließlich zur Geschäftsaufgabe. Der Geschäftsmann Seligmann David musste 1936 in Sehnde als erster sein Modegeschäft aufgeben und verkaufte es an Otto Timme, bevor er nach Hannover zog, wo er kurze Zeit später verstarb.

Der Geschäftsinhaber Siegfried Rose bewohnte mit seiner Frau Thea und ihren beiden Kindern Gerda und Hans-Georg sowie Großmutter Klara in der Mittelstraße ein dreistöckiges Haus, in dessen Erdgeschoss sich die Geschäftsräume des Manufakturwarengeschäftes und die später eingerichtete Bettfedernreinigung befanden. Mit der Auflösung der jüdischen Gemeinde Bolzum wurde im zweiten Stock des Hauses ein jüdischer Gebetsraum eingerichtet.

Durch die Boykottmaßnahmen sah sich auch die Familie Rose in den folgenden Jahren zur Geschäftsaufgabe gezwungen und lebte fortan von den Mieteinnahmen des Drogisten Karl Drüner, einem überzeugten Nationalsozialisten, der 1936 mit seiner Frau und seinen beiden Söhnen in das Haus der Roses einzog und durch seine weiteren Forderungen bezüglich des Wohnraumes immer wieder mit seinem Vermieter Siegfried Rose in Streit geriet. Die antisemitischen Ausfälle der Drüners, wie auch der beiden neun und zehn Jahre alten Söhne, die bereits durch NS-Jugendorganisationen indoktriniert waren, belasteten das Verhältnis zusätzlich.

Im Geschäftshaus der Familie Rose in der Mittelstraße zerschlugen die Söhne der Familie Drüner in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 die Scheiben der Wohnung. Gestapobeamte aus Celle führten um den 10. November herum eine Hausdurchsuchung bei den Roses durch und stahlen Schmuck und Wertsachen. Außerdem wurden Telefon und Radio der Familie eingezogen und der Familie auferlegt, ihr eigenes Haus künftig nur noch durch den Hintereingang zu betreten. Die 81jährige Klara Rose wurde auf der Straße von den Kindern des Mieters Karl Drüner mit Dreck und Steinen beworfen, ein Augenzeuge berichtet später, wie der Vater seine beiden Kinder dazu anstiftete.

Auch von den Geschäftsräumen der Geschwister Schragenheim/Königheim wurden die Scheiben eingeworfen. Der Neffe der Familie Schragenheim Hans Leo Brumsack wurde von der Gestapo verhaftet und in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert. Sein Cousin Julius Brumsack, der nur wenige Tage zuvor eine Stelle in Hannover angetreten hatte und sich in jener Nacht dort aufhielt, entging seiner Verhaftung und konnte sich im April 1939 nach England retten.

Nur wenige Tage nach der Pogromnacht begann die Umsetzung einer weiteren schikanösen Maßnahme gegenüber den Sehnder Juden in Bezug auf ihre Einkäufe für den täglichen Bedarf. Auf Anweisung des zuständigen Burgdorfer Landrates Rudolf von Löhneysen wurde den Sehnder Juden durch den lokalen NSDAP-Ortsgruppenleiter und Bauunternehmer Emil Bannier und den Bürgermeister und Landwirt Heinrich Kuhrs genauestens vorgeschrieben, zu welchen Zeiten sie in welchen Geschäften ihre Einkäufe zu erledigen hatten, die jeweils morgens bis 9:30 Uhr abgeschlossen sein mussten. Auch wenn einzelne Geschäftsleute die jüdischen Familien unterstützten, handelte es sich dabei nicht immer um einen rein selbstlosen Akt, denn manche ließen sich diese Hilfe auch in Naturalien auszahlen.

Klara Rose erholte sich von dem Schock der Übergriffe während der Pogromnacht nicht mehr und verstarb am 9. Januar 1939. Kurz nach ihrem Tod hinterließen unbekannte Täter eine Schmiererei an der Hausfassade der Familie Rose: „Nun ist Oma Rose tot und Sehnde ist einen Juden los“. Auf entwürdigende Weise musste die Familie Rose ihre Großmutter mit einem Handkarren zu dem etwa einen Kilometer entfernten jüdischen Friedhof im benachbarten Ortsteil Bolzum transportieren, wo sie als letzte Jüdin beigesetzt wurde. Auch die finanzielle Situation verschlechterte sich zunehmend durch ein Gesetz, das von den Juden „Sühneleistungen“ einforderte. In dieser Situation stellte der Geschäftsmann Otto Timme der Familie Rose die benötigten Finanzmittel als Darlehen zur Verfügung. Als Sicherheitsleistung wurde auf die Immobilie der Roses eine Hypothek von knapp 12.000 Reichsmark eingetragen, wodurch die drohende Enteignung abgewendet werden konnte und der Verbleib der Familie Rose in ihrem Haus gesichert war. Als weitere Maßnahme wurden kurze Zeit später die Bankkonten der jüdischen Inhaber gesperrt. Juden konnten sich ihr Geld danach nur noch nach vorheriger Genehmigung durch die zuständigen Finanzämter auszahlen lassen. Von den gesperrten Konten wurden den Juden nur geringe Beträge zugesprochen, die bis zu Beginn der Deportationen weiter verringert wurden.

Die Familie Rose wurde am 2. Dezember 1941 von Gestapo-Beamten aus ihrem Haus in Sehnde geleitet und mit der Bahn nach Riga in das Lager Jungfernhof deportiert. Gerda Rose überlebte als einzige ihrer Familie die Shoah, kehrte nach dem Krieg nach Sehnde zurück und emigrierte schließlich in die USA.

Hans Leo Brumsack wurde im Januar 1939 aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen entlassen, entschied sich allerdings dagegen, das Land zu verlassen, sondern blieb bei seiner krebskranken Mutter in Beverstedt. Seine Mutter Elise erlag im September 1941 ihrem Krebsleiden. Wenig später, am 17. November 1941 begannen die Deportationen der Beverstedter Juden nach Minsk in Weißrussland, von wo aus sie in die umliegenden Vernichtungslager verteilt und schließlich ermordet wurden. Unter ihnen war Hans Leo Brumsack.

Die Geschwister Salli Schragenheim und Paula Königheim lebten nach den Ereignissen der Pogromnacht völlig verängstigt in den oberen Stockwerken Ihres Hauses. Der neue Pächter ihres „arisierten“ Geschäftshauses, der Kaufmann Wilhelm Weßler, versuchte die Geschwister aus dem Haus zu bekommen, was ihm jedoch zunächst nicht gelang. Das Geschwisterpaar wurde am 18. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Paula Königheim und Salli Schragenheim wurden kurz darauf in Treblinka ermordet.

Die jüdische Kriegerwitwe Else Osterwald befand sich während der Pogromnacht als Patientin in den Iltener Wahrendorffschen Kliniken wegen eines „Nerven- und Gemütsleidens“ (Depressionen) in Behandlung. Nach ihrer Entlassung aus dem Klinikum lebte sie bei Privatleuten. Trotz der Bemühungen ihres Sohnes Walter, der nach den Nürnberger Gesetzen als „Halbjude“ galt, erging im Juli 1942 an sie die Aufforderung, sich bei der Deportationsanmeldestelle in Hannover-Ahlem zu melden. Am 18. Juli 1942 erfolgte auch ihre Deportation nach Theresienstadt, wo sie am 6. März 1944 starb.

Sehnde wurde am 18. Juli 1942 „judenfrei“ gemeldet.

Gerda Rose, die Tochter von Thea und Siegfried Rose, erblickte am 24. Mai 1920 das Licht der Welt. Ihr Vater Siegfried Rose führte das von seinem Vater Georg Rose gegründete Manufakturwarengeschäft in zweiter Generation in der Mittelstraße 10, der Hauptgeschäftsstraße Sehndes. Georg Rose ließ das dreistöckige Haus nach dem Kauf des Grundstücks im Jahre 1898 errichten. Im Erdgeschoss befanden sich die Geschäftsräume, die erste und zweite Etage boten der Familie einen großzügigen Wohnraum. Zudem befand sich hier nach der Auflösung der jüdischen Gemeinde in Bolzum und dem Abriss der Synagoge für die jüdische Gemeinde ein Gebetsraum. In dem Haus verlebte Gerda Rose gemeinsam mit ihren Eltern und ihrer Großmutter Klara, deren Ehemann Georg 1916 verstorben war, die ersten unbeschwerten Jahre ihrer Kindheit. 1927 kam ihr Bruder Hans-Georg auf die Welt. Nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten änderte sich die Lage für die Familie Rose. Zusätzlich zu den wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen erfolgte die gesellschaftliche Ausgrenzung. 1933 wurde Gerda Rose aus dem Turnverein Sehnde wie auch von sämtlichen weiteren Freizeit- und Festveranstaltungen ausgeschlossen. Das 1938 fertiggestellte Sehnder Waldbad verbot Juden den Zutritt.

Als Jüdin vom Abitur ausgeschlossen, war Gerda Rose gezwungen, ihre Studienpläne aufzugeben und nahm ab 1935 mehrere Beschäftigungen als Haushaltshilfe an, bis sie schließlich 1938 in der Israelitischen Gartenbauschule Ahlem aufgenommen wurde, wo sie nicht nur am Unterricht teilnahm, sondern außerdem in der Verwaltung aushalf. Ihr Bruder Hans-Georg, der an der Volksschule Sehnde antisemitischen Anfeindungen durch NS-treue Lehrer ausgesetzt gewesen war, besuchte diese im westlichen Stadtteil Hannovers gelegene jüdische Bildungseinrichtung mit dem angeschlossenen Internat bereits seit 1937.

Da sich durch die Maßnahmen des NS-Regimes die finanzielle Situation der Familie Rose zunehmend verschlechterte, musste Gerda Rose Ende 1938 die Gartenbauschule Ahlem bereits wieder verlassen und wohnte zunächst bei ihren Eltern, fand aber kurze Zeit später Wohnung und Arbeit in Hannover. Ihr Bruder Hans-Georg besuchte sie noch weiterhin, bis auch er nach der endgültigen Schließung der Einrichtung in Ahlem zum 1. November 1941 zu seinen Eltern nach Sehnde zurückkehrte.

Ende November 1941 wurde der Familie durch zwei Beamte der Gestapo beschieden, dass sie in den kommenden Tagen abgeholt und in den Osten „umgesiedelt“ würden. Man schrieb ihnen vor, was sie an Geld, Bekleidung und Verpflegung mitnehmen dürften, das Haus der Familie wurde nach erfolgter Deportation vom Staat beschlagnahmt und der Verwaltung des Finanzamtes Burgdorf übergeben. Die restlichen Habseligkeiten wurden wenig später in der Gaststätte Ehlers öffentlich versteigert.

Am 2. Dezember 1941 wurde die Familie Rose mit einem Bahntransport in das Lager Jungfernhof nahe der lettischen Hauptstadt Riga deportiert. Dort wurde Gerda Rose mit ihrer Familie zu schwerster Zwangsarbeit herangezogen. Thea Rose und ihr Sohn Hans-Georg wurden im Rahmen der „Aktion Dünamünde“ im Frühjahr 1942 erschossen, Siegfried Rose starb bereits zu einem früheren Zeitpunkt, als offizielle Todesursache wurde Hungertyphus vermerkt.

Noch im Lager Jungfernhof ging Gerda Rose eine „Ghetto-Ehe“ mit dem Wiener Juden Oskar Schäffer ein. Im Juli 1944, nach der Überstellung des Ehepaars in das KZ Kaiserhof, fiel Oskar Schäffer einer Selektion zum Opfer.

Mit dem weiteren Vorrücken der Roten Armee wurden die Häftlinge aus dem KZ Kaiserwald im September 1944 in das Lager Stutthof verlegt. Von dort wurde Gerda Schäffer in ein Arbeitskommando eingeteilt und in das umliegende Außenlager Sophienwalde verlegt, wo sie im Straßenbau eingesetzt wurde. Mitte Februar 1945 wurden die Häftlinge auf einen Todesmarsch in Richtung Westen getrieben, in dessen Verlauf viele Häftlinge vor Entkräftung umkamen oder von den Begleitmannschaften erschossen wurden. Am 10. März erreichte die Häftlingskolonne den Ort Chinov, wo man sie in eine Scheune sperrte, aus der sie dann wenig später von Rotarmisten befreit wurden. Die noch vor Ort ergriffenen SS-Wachmannschaften wurden auf der Stelle erschossen, der verantwortliche SS-Offizier Schulz wurde später zum Tode verurteilt und im April 1946 hingerichtet.

Gerda Schäffer überlebte den Todesmarsch. Nach ihrer Befreiung kehrte sie nach Sehnde zurück, um den Nachlass ihrer Familie zu ordnen und das Haus der Familie in der Mittelstraße 10 wieder in Besitz zu nehmen. Das Haus wurde noch immer von der Familie Drüner bewohnt, die vor der Deportation der Familie Rose deren Mieter gewesen war. Gerda Schäffer übersiedelte 1947 nach New York und heiratete dort den aus Karlsruhe stammenden jüdischen Geschäftsmann Henry Wasserman, der bereits 1937 in die USA emigriert war.

Um den Nachlass zu regeln, ließ sie sich zunächst von Anwälten vertreten, dem ersten entzog sie das Mandat jedoch wieder, nachdem dieser eher versucht schien, die Angelegenheit hinauszuzögern. Nachdem Gerda Wassermann 1949 vom zuständigen Amtsgericht Lehrte den für die Restitution benötigten Erbschein ausgestellt bekam, konnte sie als Eigentümerin des Hauses im Grundbuch eingetragen werden. 1953 erwarb schließlich die Familie Einnolf die Immobilie, die zu diesem Zeitpunkt bereits nach dem Auszug der Drüners als Mieter in dem Haus lebte. Um die restlichen Ansprüche geltend zu machen, wie die durch die Gestapo entwendeten Familienschmuck, musste Gerda Wassermann, so wie noch viele andere Hinterbliebene von Opfern der Shoah, einen jahrzehntelangen Rechtsstreit führen, denn noch immer waren die Verwaltungsstellen mit ehemaligen Funktionsträgern des NS-Regimes besetzt, die durch eine Verschleppungstaktik die Verfahren zu hintertreiben versuchten.

Aus Gerda Schäffers Ehe mit Henry Wassermann ging 1950 ein Sohn hervor, der 1985 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam und zwei Kinder hinterließ. 1987 starb Henry Wasserman nach 48 Jahren Ehe. Gerda Wassermans Enkel Peter ist mittlerweile selbst Vater einer Tochter, Noa Rose, mit der der Familienname weiterlebt.

2007 und erneut 2011 besuchte Gerda Wasserman ihre Heimatstadt Sehnde und bat dort um die Verlegung von Stolpersteinen, um an ihre Familie zu erinnern.

Wenige Wochen vor ihrem 100. Geburtstag verstarb Gerda Wassermann am 5. April 2020 in ihrem Wohnort New York.

Letzte Aufnahme von Gerda Rose vor der Deportation, etwa 1940. Privatarchiv Hans-Hermann Seiffert

Julius Brumsack wurde am 19. Januar 1915 in Beverstedt geboren. Sein Vater Markus meldete sich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges als „Kriegsfreiwilliger“ und fiel nur ein halbes Jahr nach der Geburt seines Sohnes. Posthum wurde seiner Witwe Emma zusammen mit der Nachricht vom Tode ihres Ehemannes das Eiserne Kreuz erster Klasse überreicht. Im Alter von 14 Jahren zog er 1929 gemeinsam mit seinem Cousin Hans Leo Brumsack nach Sehnde. Hier betrieben die Geschwister der Mutter, Salli Schragenheim und Paula Königheim, eine Textil- und Manufakturwarenhandlung, die bereits seit 1858 vom Sehnder Familienzweig betrieben wurde und eines der größten Geschäfte am Ort war. Aufgrund der Kinderlosigkeit beider Geschwister waren Julius und Hans Leo als Erben vorgesehen und sollten das Geschäft später einmal übernehmen. Ein halbes Jahr lang besuchte Julius eine kaufmännische Gewerbeschule in Hannover. Die „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten und deren aggressiver Antisemitismus hielt er damals wie viele seiner Zeitgenossen nur für ein vorübergehendes Phänomen. 1936 konfiszierte die Gestapo jedoch nach seiner Rückkehr aus einem Urlaub in Jugoslawien seine Kamera und beschuldigte ihn der Spionage. Zudem warnten ihn einige Postbeamte, die er durch seine Leidenschaft fürs Briefmarkensammeln kennengelernt hatte, dass seine Post kontrolliert werde.

Im Zuge der 1933 einsetzenden staatlichen Boykottmaßnahmen gingen auch die Umsätze des Hauses Schragenheim rapide zurück. Um potentielle Kunden einzuschüchtern und abzuschrecken, postierte die SA einige ihrer Männer vor dem Textilgeschäft. Die Maßnahmen zeigten schließlich Wirkung und veranlassten die Geschwister Schragenheim/Königheim zur Schließung des Geschäftes 1938 kurz vor der Pogromnacht.

Die Nacht der Novemberpogrome sollte Julius Brumsack in Hannover erleben, kurz zuvor erhielt er einen Arbeiter-Ausweis und meldete ordnungsgemäß sein neues Zimmer in Hannover bei den zuständigen Behörden an. Für die Firma Christiansen arbeitete er hier mittlerweile im Straßenbau. Dieser Umstand bewahrte ihn davor, wie sein in Sehnde verbliebener Cousin Hans Leo von der Gestapo verhaftet und ins KZ Sachsenhausen verschleppt zu werden. Nach dessen Entlassung im Januar 1939 war Julius nach dem Wiedersehen derart geschockt über dessen psychischen und physischen Zustand, dass er entschloss, Deutschland zu verlassen. Erfolglos bemühte er sich um Aufnahme in der Schweiz und Neuseeland, bis schließlich Ende April Februar 1939 durch das „German Jewish Aid Committee“ seine Ausreise nach England ermöglicht wurde und er im folgenden April Deutschland verließ. Im August 1939 gelang es ihm, die Flucht seiner Cousine Annelise und seiner damaligen Freundin Erna nach England zu organisieren.

Nur widerwillig kam er 1939 nach Kriegsausbruch der nachdrücklichen Empfehlung des Jewish Aid Committee nach, sich freiwillig als Soldat für den Kriegseinsatz gegen Deutschland zu melden. Nach Ableistung seiner Grundausbildung heiratete er seine Freundin Hanna Riesenfeld und nur kurze Zeit später verlegte seine Einheit, das Auxiliary Military Pioneer Corps als Teil der British Expeditionary Force, nach Nordfrankreich, wo er in erste Kampfhandlungen verstrickt wurde. Nach der französischen Niederlage wurde seine Einheit über Dünkirchen evakuiert und nach ihrer Rückkehr in England unter anderem mit der Trümmerbeseitigung beauftragt, die durch deutsche Luftangriffe verursacht wurden. Während dieser Zeit wurde ihm außerdem auferlegt, sich für den Fall einer deutschen Kriegsgefangenschaft einen englischen Decknamen unter Beibehaltung seiner Initialen zuzulegen, worauf er sich Jeffrey Barclay nannte.

Etwa sechs Wochen nach der Invasion der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 verlegte seine Einheit erneut nach Frankreich, den Zeitpunkt der deutschen Kapitulation erlebte er 1945 in Brüssel. Nach Kriegsende arbeitete er als Dolmetscher in NS-Verfahren und lernte in Sassenberg seine spätere zweite Ehefrau Emmi kennen. Nach seiner Versetzung nach Hannover besuchte er zeitweise Sehnde und reichte Anfang 1948 einen Antrag auf Repatriierung ein, nachdem seine Versuche gescheitert waren, seinen Heimatort zu besuchen, um das Schicksal seiner Familie zu aufzuklären.

1948 verließ er nach seiner Scheidung von Hanna Riesenfeld England endgültig und heiratete im November Emmie Barg, mit der er zwei Kinder, Hans-Jürgen (* 1950) und Sabina (* 1955) bekommen sollte. Als Inhaber eines Textilgeschäftes baute er sich eine neue Existenz auf, doch seine Nachforschungen über seine Familie stießen auf Schweigen in der Bevölkerung und Unwillen bei den Behörden. Die sechs Mitglieder der Familie Brumsack wurden am 18. November 1941 deportiert und schließlich in Minsk ermordet. Für die Geschwister Schragenheim/Königheim in Sehnde konnte anhand der Dokumente belegt werden, dass Salli Schragenheim und Paula Königheim aufgrund des Evakuierungsbefehls Nr. 9 der lüneburgischen Bezirksregierung am 18. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden, doch sonst schwieg man sich auch hier in der Bevölkerung über das Thema aus.

Neben der Ungewissheit über das Schicksal seiner Familie musste Julius Brumsack noch viele Jahre prozessieren, um seine Ansprüche als Verfolgter der Nationalsozialisten durchzusetzen, erst 1970 konnten in langwierigen Verfahren einige seiner Ansprüche gerichtlich geklärt, doch nicht alles durchgesetzt werden. Seine Frau Emmie verstarb 1979 bei einem Autounfall im Alter von 57 Jahren und Julius Brumsack verlebte die letzten Jahre seines Lebens in einem Pflegeheim in Oldenburg, wo er am 22. Oktober 2011 friedlich verstarb. Seine Beisetzung erfolgte auf dem jüdischen Friedhof in Beverstedt nach jüdischen Bestattungsriten.

Julius Brumsack als britischer Soldat, 1942. Archiv Familie Brumsack).

Emil Bannier wurde geboren am 8. Januar 1895 in Thune im Kreis Lüchow-Dannenberg. Von 1901 bis 1909 besuchte er die Volksschule in Varbitz, im Landkreis Uelzen. Nach der Schule absolvierte er eine Maurerlehre, die er 1913 erfolgreich abschloss. Von 1915 bis 1918 diente Emil Bannier als Soldat im Ersten Weltkrieg in Frankreich, wofür er unter anderem mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse und dem Kriegsverdienstkreuz zweiter Klasse ausgezeichnet wurde.

Nach dem Krieg legte Emil Bannier in Hildesheim 1921 seine Prüfung zum Maurermeister ab, nur wenige Tage darauf eine weitere zum Bauingenieur und wurde 1931 Teilhaber des Sehnder Bauunternehmens „Bannier und Eggebrecht“. Unter der Mitgliedsnummer 1000631 trat er im Jahre 1932 noch vor der „Machtergreifung“ der NSDAP bei. Diesen Schritt rechtfertigte er später mit seiner Sorge ob der hohen Arbeitslosigkeit und der Tatsache, dass sich in Sehnde eine Stempelstelle für Arbeitslose befand, wodurch der Ort ein sehr „unruhiges Pflaster“ geworden sei. So soll er darauf vertraut haben, dass die NSDAP die hohe Arbeitslosigkeit beheben werde.

Weitere NS-Organisationen, denen er im Laufe der Zeit beitrat, waren 1933 die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV), im selben Jahr die Deutsche Arbeitsfront (DAF), der Reichskolonialbund, der Reichsluftschutzbund wie auch der Volksbund für das Deutschtum im Ausland (VDA). Darüber hinaus war er außerdem sehr aktiv in der Kommunalverwaltung verflochten. So nahm er die Vertretung des Bürgermeisters ebenso wahr, wie die des zuständigen Landrates und arbeitete mit in der kommunalen Kreisverwaltung. Der Entnazifizierungs-Hauptausschuss gewann dadurch in seiner Beurteilung nicht nur das Bild eines politisch sehr aktiven, sondern außerdem eines sehr einflussreichen Mannes.

Seine Rolle im sogenannten „Sehnder Blutsonntag“ am 27. August 1933 konnte nach dem Krieg bei seiner Anhörung vor dem Entnazifizierungs-Hauptausschuss nicht eindeutig geklärt werden. Einige Angaben der Belastungszeugen beruhten nur auf Hörensagen während andere wiederum von den Entlastungszeugen mit ihren Aussagen teilweise sehr zurückhaltend waren, wodurch man diesen auch keinen großen Wert beimaß. Die große politische Aktivität Banniers jedoch, ließ durchaus die Ansicht entstehen, dass dieser Vorfall durch sein Auftreten mit hervorgerufen wurde, wie auch im Ort der Eindruck bestand, Bannier sei der „geistige Inspirent der gesamten Nazi-Bewegung“ gewesen. An jenem August 1933 wurden in Sehnde etwa 50 Personen, hauptsächlich KPD-Mitglieder, Sozialdemokraten aber auch Parteilose, von SA-Männern mit Gewalt aus ihren Häusern und Wohnungen in die so genannte Wartheschule, einem Kindergarten, verbracht. Die Polizei blieb dabei untätig und schritt nicht ein.

Dort wurden sie stundenlang festgehalten und unter schweren Misshandlungen nach vermuteten versteckten Waffenlagern der KPD befragt.

Bannier wies jede Verstrickung in den Vorfall von sich und begründete das unter anderem damit, dass er sich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht in der Funktion des Ortsgruppenleiters befand, die er erst im September 1933 angetreten hatte. Außerdem habe er an diesem Tag in Peine bei einem Motoradrennen zugesehen, doch als sicher gilt, dass Emil Bannier schon als einfacher Parteigenosse einen großen Einfluss auf örtliche Stellen der Partei und Verwaltung auszuüben vermochte. Dadurch entstand der Verdacht, dass diese Aktion möglicherweise zumindest mit seinem Wissen und seiner Billigung stattfand.

Auch eine Verstrickung in die Vorgänge während der Pogromnacht, die zerstörten Schaufenster der jüdischen Geschäfte, konnten ihm nicht nachgewiesen werden und wurden in der mündlichen Verhandlung kaum behandelt. Bannier verteidigte sich vor dem Ausschuss sogar mit der Behauptung, dass jegliches Vorgehen gegen in Sehnde ansässige Juden auf seine Veranlassung hin unterblieben sei, da er die Aktionen gegen die jüdische Bevölkerung als „Kulturschande“ empfand.

Kurz vor Kriegsausbruch 1939 wurde er für kurze Zeit im Rang eines Gefreiten in das Landesschützen Bataillion 9/XI Bergen zur Wehrmacht einberufen. Wegen seiner Tätigkeit als Handwerksmeister wurde er jedoch kurz darauf wieder vom Dienst freigestellt und konnte seine Geschäfte als Bauunternehmer wieder aufnehmen.

Mit dem Einmarsch der Amerikaner in Sehnde zwischen dem 8.April und dem 10. April1945 endete für die ländliche Industriegemeinde der Zweite Weltkrieg. Emil Bannier wurde als NSDAP-Ortsgruppenleiter am 27. April von den Besatzungsmächten festgesetzt und in ein Internierungslager in Paderborn eingeliefert, aus dem er am 15. Januar1948 wieder entlassen wurde.

Schließlich musste sich der ehemalige NSDAP-Ortsgruppenleiter vor dem Entnazifizierungs-Hauptausschuss verantworten. Der ehemalige Sehnder Bürgermeister Heinrich Kuhrs trat hierbei als Entlastungszeuge Banniers auf und sagte aus, dass dieser unter anderem verhindert habe, dass eine Frau, die sich mit einem sowjetischen Kriegsgefangenen eingelassen hatte, die Haare abgeschnitten wurden, allerdings konnte er mit seinen nur sehr zögerlichen Antworten auf die Frage, ob er dem Beschuldigten Bannier Handlungen wie am Sehnder Blutsonntag zutraue, nicht überzeugen.

Seinen Austritt aus der Kirche begründete Bannier nicht nur mit dem Drängen der NSDAP, sondern auch mit Streitigkeiten mit zwei Pastoren, bezüglich des Wiedereinsatzes in das alte Amt.

Nach seinem Verfahren vor dem Entnazifizierungs-Hauptausschuss in Burgdorf am 2. Dezember1948 wurde Emil Bannier in die Kategorie IV eingestuft mit Beschränkung der Wählbarkeit zu politischen Körperschaften für die Dauer von zehn Jahren. In diesem Zeitraum durfte er auch nicht als Angestellter für politische Organisationen tätig sein. Gegen die Führung eines Bauunternehmens jedoch bestanden keine Bedenken. Man sah es als erwiesen an, dass Emil Bannier den Nationalsozialismus im Wesentlichen unterstützt und gefördert hatte. Des Weiteren wurde ihm eine Gebühr in Höhe von 5000 DM auferlegt, als Ausgleich für seine Nutznießerschaft während der NS-Zeit. Allein der Umstand, dass Bannier glaubhaft darlegen konnte, einzelne politisch Verfolgte verschont zu haben, erwog den Ausschuss dazu, von einer höheren Einstufung abzusehen, betonte dabei jedoch, dass es den ausgesprochenen Entscheid für äußerst gelinde hielt. Sein Bauunternehmen konnte er anschließend weiter betreiben. Emil Banniers weiterer Lebensweg und Werdegang konnten im Rahmen der Untersuchung nicht geklärt werden.

NS-Ortsgruppenleiter Emil Bannier (links mit Uniform) bei der Siegerehrung im Dirt-Track-Rennen in den 1930er Jahren. Privatarchiv Hans-Hermann Seiffert

 

Emil Bannier bei seiner Internierung nach Kriegsende in Paderborn. NLA Hannover Nds. 171 Lüneburg Nr. 2797

Der Landwirt Heinrich Kuhrs wurde am 27. April1887 in Klein Heere geboren. 1933 trat er in die NSDAP ein und wurde Mitglied in weiteren Organisationen der NSDAP wie der Deutschen Arbeitsfront, der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt, dem Reichskolonialbund und dem NS-Kriegerbund. Von 1935 bis Kriegsende 1945 war er Bürgermeister in Sehnde.

Entgegen den Erwartungen, die man an ein Parteimitglied der NSDAP stellte, trat Heinrich Kuhrs nicht aus der Kirche aus und besuchte auch weiterhin den Gottesdienst. Kurz vor Kriegsende verhinderte er die Sprengung von mehreren Sehnder Brücken.

Im Entnazifizierungsverfahren nach dem Krieg vor dem Hauptausschuss sagte die Frau des Pastors Gerlach aus, Heinrich Kuhrs habe sie vor dem Konzentrationslager bewahrt, nachdem eine Anzeige von Emil Bannier vorlag, weil sie ihr Bedauern darüber geäußert hatte, dass Hitler das Attentat vom 20. Juli1944 überlebt habe.

Einer der Entlastungszeugen war Julius Brumsack, der bezeugte, dass Heinrich Kuhrs die Geschwister Schragenheim/Königheim bis zuletzt unerlaubterweise mit Milch versorgt hätte und betonte ausdrücklich, dass sich sein Verhalten gegenüber dem Emil Banniers völlig unterschied. Letzteren bezeichnete er als den übelsten Hetzer und Propagandisten seinerzeit.

Dennoch muss hierbei auch berücksichtigt werden, dass auch er letztlich ein Rädchen im Getriebe war und es nach dem Krieg verstand, seine eigene Rolle herunterzuspielen und in Bezug auf die Versteigerungen jüdischen Eigentums mehr gewusst haben muss, als er später zuzugeben bereit war. In seiner Eigenschaft als Bürgermeister war er maßgeblich an der Umsetzung staatlicher Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung beteiligt. Als die jüdische Witwe Else Osterwald versuchte zur Familie Rose zu ziehen, wurde ihr das von Heinrich Kuhrs mit der Begründung verwehrt, dass die Familie Rose vormals einen „arischen“ Mieter abgelehnt habe und demnach nun auch keinen jüdischen Mieter aufnehmen könne.

Im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens wurde er in die Kategorie IV mit dem Zusatz „ohne Beschränkung“ eingestuft. Der Entnazifizierungs-Hauptausschuss kam zu dem Schluss, dass Heinrich Kuhrs den Nationalsozialismus zum Teil unterstützt hatte. Es wurden keine weiteren Beschränkungen auferlegt, da ihm kein verwerfliches Verhalten nachgewiesen werden konnte und nicht festgestellt werden konnte, dass er den Nationalsozialismus wesentlich gefördert und unterstützt hatte. Zusätzlich wurde ihm eine Geldstrafe von 50 DM auferlegt. Politische Ämter dürfte er auch weiterhin bekleiden und auch nach dem Krieg wurde er als Bürgermeister wiedergewählt.

Heinrich Kuhrs starb kurze Zeit später am 2. Februar1949, womit das weitere Entnazifizierungsverfahren gegen ihn eingestellt wurde.

Nach den bisher gewonnenen Erkenntnissen fand eine juristische Ahndung der während der Novemberpogrome gegen die jüdischen Familien begangenen Straftaten nicht statt.

Eine jüdische Gemeinde existiert heute in Sehnde nicht mehr. Mit Gerda Wasserman emigrierte die einzige Überlebende der Familie Rose nur zwei Jahre nach ihrer Rückkehr in die Vereinigten Staaten, doch die Spuren jüdischen Lebens haben die Zeiten überdauert. Der jüdische Friedhof im Bolzum existiert nach wie vor und wurde 2007, unmittelbar vor dem Besuch Gerda Wassermans geschändet, die eigens angereist war, um bei der Enthüllung der Grabplatte für die Familie Rose dabei zu sein. 2012 wurden an mehreren Orten in Sehnde insgesamt neun Stolpersteine verlegt, um an die Schicksale der Sehnder Juden zu erinnern. Eine 2014 am Haus der Familie Rose angebrachte Gedenktafel erinnert Passanten an die einstmals angesehene jüdische Familie.

Im Sehnder Rathaus befindet sich im Foyer des Ratssaals die Gedenktafel „Scherben gegen das Vergessen“, ein Werk der Künstlerin Rahel Bruns, bei dem auf einer Glasscheibe die Namen der Sehnder Juden verewigt wurden, die anschließend zerschlagen und wieder zusammengefügt wurde.

Die Einweihung fand anlässlich einer Gedenkveranstaltung am 9. November 2014 im Beisein von Hans-Jürgen Brumsack statt, dem Sohn des 2011 verstorbenen Julius Brumsack.

Andrea Baumert / Marlies Buchholz / Nancy Kratochwill-Gertich, Sehnde/Bolzum, in: Herbert Obenaus / David Bankier / Daniel Fraenkel (Hg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Bd. 1, Göttingen 2005, S. 236-244.

Elfriede Brumsack, „Er kam zurück“ – Der Lebensweg von Julius Brumsack (1915-2011) aus Beverstedt, in: Männer vom Morgenstern. Heimatbund an Elb- und Wesermündung. Jahrbuch 92/93 (2013/14), S. 177-214.

Adolf Meyer, Sehnde. Vom Bauerndorf zur Industriegemeinde. Beiträge und Quellen zur Geschichte einer Gemeinde im Großen Freien, Celle1975.

Regina Runge-Beneke, Informationsblatt zum Schicksal jüdischer Einwohner Sehndes, Projektgruppe Stolpersteine 2012.

Hans-Herrmann Seiffert, Eine Sehnder Jüdin kommt zurück. Gerda Rose überlebt die NS-Todeslager Jungfernhof, Kaiserwald und Stutthof sowie den Todesmarsch, Konstanz 2016.

Wikipedia: Julius Brumsack

Stadt Sehnde: Gedenktafel – Scherben gegen das Vergessen