November­pogrome
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1938 in Niedersachsen

Northeim

Nachdem bereits im Mittelalter und in der frühen Neuzeit Juden vorübergehend in Northeim gewohnt hatten, gestattete der Magistrat der Stadt erst 1808 die dauerhafte Ansiedlung jüdischer Familien. Insbesondere durch Zuzug aus dem nahegelegenen Sudheim stieg die Zahl jüdischer Einwohner in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts merklich an. 1910 zählte man in der Stadt 117 Personen jüdischen Glaubens. Eine Synagoge gab es nicht; Gottesdienste fanden in privaten Räumlichkeiten statt, zuletzt in der Bahnhofstraße 5. Einen jüdischen Friedhof gab es seit 1884 neben dem städtischen Friedhof am Harztor.

Im Unterschied zu vielen anderen Gemeinden und Kleinstädten stieg die Zahl jüdischer Bürger während der Weimarer Republik noch etwas an. Um 1930 erreichte sie mit rund 130 Personen den höchsten Stand. Die meisten verdienten ihren Lebensunterhalt als Kaufleute.

Ab 1933 litten auch die Northeimer Juden unter Ausgrenzung und Verfolgung. Die örtliche SA und die NSDAP beteiligten sich am 1. April 1933 am reichsweiten Boykott von Geschäften jüdischer Eigentümer. 1935 kam es erneut zu Übergriffen; u.a. wurden Schaufenster eingeworfen. In der Folge wanderten viele jüdische Familien ab, ihre Geschäfte wurden „arisiert“.

Während der Novemberpogrome wurden insbesondere in der Bahnhofstraße viele Wohnungen jüdischer Familien verwüstet. Die Einrichtung des Betraums in der Bahnhofstraße 5 wurde zerstört. Den jüdischen Sozialdemokraten Levy wies die Gestapo in das KZ Dachau ein. Im April 1939 wurde er wieder entlassen und emigrierte anschließend mit seiner Familie ins Ausland. Die örtliche Zeitung „Heimat-Beobachter“ schrieb dazu am 27. April 1939:

„Ein Abschied, der uns alle freut

Wie wir hören, hat der größte Schweinehund, der in Northeim in den letzten 20 oder 30 Jahren herumgelaufen ist, der Jude Levi, der berüchtigte sozialdemokratische Hetzer und Zaunlattenhäuptling der Hermannschlacht von 1922 beim Brunnen, mit seiner Familie, … Northeim verlassen, um in Palästina zu ‚siedeln’. Vielleicht trifft der Verbrecher außerhalb Deutschlands noch einmal das verdiente Geschick, dem er vor der Revolution 1933 durch die Dummheit seiner Mitmenschen und nach der Machtergreifung durch die Großmut des nationalsozialistischen Staates entgangen ist. In Northeim weint ihm keiner eine Träne nach.“

In dem Artikel spielte die Zeitung auf eine öffentliche Debatte aus dem Jahr 1922 an: Zusammen mit einem DDP-Politiker hatte Levy damals gegen die Aufführung des nationalistischen Dramas „Hermannsschlacht“ von Kleist bzw. gegen die rechtskonservativen Veranstalter protestiert.

Von acht 1941 noch in Northeim lebenden Juden begangen zwei in diesem Jahr Selbstmord, nachdem sie von der Gestapo verhaftet worden waren. Drei weitere wurden im Juli 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, ein weiterer (er hatte in „Mischehe“ gelebt) Anfang 1945. Mindestens 33 jüdischer Einwohner von Northeim kamen in der Shoah um. Zwei Juden (Felix Haas und Leopold Ballin) kehrten nach dem Krieg nach Northeim zurück.

In der Bahnhofsstraße wurde 1969 gegenüber dem Gebäude, in dem sich der letzte Betraum befunden hatte, ein Mahnmal errichtet. Ein weiteres Denkmal erinnert seit 1993 am Entenmarkt an die Northeimer Opfer der Shoah. Seit 2007 wurden zudem bislang 36 Stolpersteine verlegt. Auf dem 1940 eingeebneten und 1944 an die Stadt zwangsverkauften jüdische Friedhof am Harztor markieren kleine Betonsockel die etwa 50 Grabstellen.

Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum: Northeim (Niedersachsen)

Topografie der Erinnerung in Südniedersachsen: http://www.erinnernsuedniedersachsen.de/orte-n-z-northeim-2.html