November­pogrome
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1938 in Niedersachsen

Hann. Münden

In der von Handel geprägten Dreiflüssestadt Hann. Münden im Süden Niedersachsens sind Juden an der Schwelle vom 14. zum 15. Jahrhundert in wenigen Einzelfällen nachweisbar. Die Jüdenstraße, eine Stichstraße zur Burgstraße, wurde 1520 in einem Kämmereiregister als „Jodenstrate“ erwähnt und deutet somit jüdisches Leben in dieser Epoche an. Die „gemeine Judenschaft“ Mündens trat gegenüber der ebenfalls in Münden residierenden Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Calenberg-Göttingen im Jahre 1547 für einen aus der Stadt Artern an der Unstrut stammenden Juden ein, dem sie einen Schutzbrief erteilte. Der Landesverweis der Juden durch Herzog Heinrich Julius zu Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel im Jahre 1591 dürfte auch in Münden eine tiefe Zäsur bedeutet haben, da in den folgenden Jahrzehnten keine Juden in Münden nachweisbar sind. Der „Schutzjude“ Moses Ilten bat die herzogliche Regierung des Fürstentums Calenberg 1664, seinem Vater Abraham ebenfalls einen Schutzbrief erteilen zu wollen. Einen Hinweis auf das Bestehen einer mehrere Mitglieder zählenden jüdischen Gemeinde ergibt sich aus einem Schreiben, das diese im Jahre 1678 an den Herzog Johann Friedrich richteten. Unter der Führung von Meyer Ilten erhielt die gesamte „Judenschaft“ das Recht, einen Friedhof außerhalb der Stadt mit einem Zaun zu umgeben, „da gottlose Buben nicht nur des öfteren [sic!] die Grabsteine über den Haufen würfen, sondern auch Knochen und Unrat auf die Gräber streuten.“

Eine Auswertung der Kopfsteuerbeschreibung der Fürstentümer Calenberg-Göttingen und Grubenhagen ergibt, dass im Jahre 1689 bereits sechs jüdische Familien mit insgesamt 30 Personen in Münden lebten, dessen Einwohnerzahl sich damals insgesamt auf 2.806 Personen belief.

Ende des 18. Jahrhunderts wurde es Juden schließlich erlaubt, Hausbesitz zu erwerben, womit sie auch alle Grundbesitzabgaben und Pflichten eines Hausbesitzes zu tragen hatten, vom Erlangen des Bürgerrechts  jedoch weiterhin ausgeschlossen blieben. Bis Ende des 18. Jahrhunderts sind fünf Fälle jüdischen Hausbesitzes unter den Einschränkungen jeweils erteilten Konzessionen feststellbar.

Im Jahre 1796 erwarb die „Judenschaft“ ein stattliches, dreigeschossiges Fachwerkhaus in der heutigen Straße „Hinter der Stadtmauer 23“, nebst einem dahinter liegenden Grundstück. In der Zeit des Königreiches Westphalen (1807-1813) erfolgte eine formal-rechtliche Gleichstellung der Juden, welche das Königreich Hannover ab 1815 ihnen jedoch teilweise wieder entzog. Bis 1809 erlebte die jüdische Gemeinde einen erheblichen Zuwachs und zwar in Form von 17 erwachsenen Männern, 13 Ehefrauen, 24 Kindern über und 45 Kindern unter 14 Jahren, somit insgesamt 99 Personen.

Haupterwerbszweig für die Mündener Juden war in dieser Epoche der Tuchhandel. Bereits 1796 stellte der Magistrat fest, dass kein christlicher Kaufmann mehr den Tuch- und Ellenwarenhandel betrieb. Neben dem Handel mit Altwaren und Trödel sowie dem Verkauf von Lotterielosen, dürfte die Erwerbssituation dennoch überwiegend als prekär zu bezeichnen gewesen sein. Allerdings  gelang es den beiden Mündener Juden Hirsch Ellon und Selig Rosenthal eine Barchent- und Baumwollfabrik zu eröffnen und einige Jahrzehnte erfolgreich zu betreiben. Versuche des Widerrufs der Handelskonzessionen der Juden wurden seitens der Landdrostei Hildesheim zurückgewiesen. Die jüdische Gemeinde nutzte ihr Gemeindehaus vor allem für die Erteilung von Schulunterricht. Im Jahre 1831 beantragte sie die Erlaubnis zur Unterrichtserteilung durch Simon Mauer, als Ersatz für den damals bereits achtzigjährigen  Ephraim Rosenthal. Mauer übte die Tätigkeit bis zu seiner krankheitsbedingten Berufsunfähigkeit 1866 aus. Daneben erledigte er auch die Aufgaben des Schächters.

Im Jahre 1834 konnte eine Synagoge auf dem Hinterhof des Grundstücks errichtet werden. Ein Unterfangen, das durch die tatkräftige Werbung von Simon Mauer und 17 zahlungskräftigen Gemeindemitgliedern ins Werk gesetzt werden konnte. Für den Bau einer dreigeschossigen Synagoge mit einem Satteldach nutze man, in Form der Grenzbebauung, allein 107 m² des 137 m² großen Hinterhofes. Eine feierliche Vereidigung von neun Israeliten fand am 08. Mai 1843 im Rathaus statt. Sie erhielten das Bürgerrecht. Im Zuge der Liberalisierung endete im Norddeutschen Bund 1869 der Zunftzwang. In der Gründerzeit nutzten viele jüdische Familien diese Chance und zogen zumeist in die größeren Städte. Obwohl Münden seine Bevölkerung in den Jahren von 1850 bis 1900 knapp auf unter 10.000 verdoppeln konnte, lebten weiterhin nur etwa 100 Juden in Münden. Insbesondere aus den ländlichen Gemeinden Mollenfelde oder Dankelshausen, aber auch aus den kurhessischen Landgemeinden, zogen jüdische Familien nach Münden. 1892  kam es in Münden zur Gründung des „Antisemitischen Vereins“, dem überwiegend Handwerksmeister und kleinere Kaufleute beitraten. Nach offenkundig starkem Interesse, angeheizt durch den damaligen Reichstagsabgeordneten Max Liebermann von Sonnenberg, spielte diese Gruppierung ein Jahrzehnt später im öffentlichen Leben aber keine Rolle mehr. In Textil-, Lederwaren- und Haushaltswarengeschäften nahmen jüdische Händler eine bedeutsame und insbesondere bei der Arbeiterschaft auch anerkannte Stellung ein, denn man konnte bei ihnen „anschreiben“,  sprich: auf Abzahlung einkaufen. Zunehmend etablierten sich mit dem Rechtsanwalt Dr. Walter Graupe, dem Allgemeinmediziner Sigmund Freudenthal und dem Professor an der Forstlichen Hochschule Dr. Richard Falck weitere anerkannte Persönlichkeiten in Münden. Allerdings hatte Prof. Falck, der 1910 nach Münden berufen wurde, bereits 1920 unter antisemitischer Hetze an der Forstlichen Hochschule zu leiden.

Idyll einer südniedersächsischen Kleinstadt im Mündungsdreieck von Werra und Fulda, umgeben von drei Wäldern um 1885. Vieles deutete auf eine friedliche Koexistenz bis zur vollständigen ge-sellschaftlichen Assimilation der Juden in Münden hin. Als Kaufleute, Industriebesitzer, Vertreter der akademisch bürgerlichen Mittelschicht standen sie überwiegend dem liberalen Bürgertum na-he. War es Sozialneid, der 1892 zur Gründung des Antisemitischen Vereins führte? Foto: Jean Appel

In der von der Arbeiterschaft dominierten Kleinstadt Münden gelang es der NSDAP erst nach den Wahlen von 1930, vor allem im kleinbürgerlichen Milieu, Fuß zu fassen. Dennoch wuchs sie bis 1933 zur bestimmenden politischen Größe heran. Die Partei und die paramilitärische SA sahen spätestens ab März 1933 ihre Hauptaufgabe in der Niederringung der politischen Gegners, der SPD und KPD, durch den Einsatz des gesamten Repressionsapparats mit zahlreichen Verhaftungswellen. Der am 1. April 1933 ausgerufene Boykott jüdischer Geschäfte verlief noch relativ glimpflich. Doch spätestens mit der Verabschiedung der „Nürnberger Rassegesetze“ setzte die wachsende Diskriminierung die jüdische Stadtgesellschaft  massiv unter Druck. Nach und nach schlossen die jüdischen Geschäfte,  um sie später zu „arisieren“. Von den Ende 1933 rund 100 Personen jüdischen Glaubens  verließ bis 1938 gut die Hälfte Münden durch Wegzug und Emigration.

Hinter der Stadtmauer 23. Dieses stattliche Fachwerkhaus erwarb die „Judenschaft“ 1796. Es be-fand sich bis zum Zwangsverkauf 1939 im Eigentum der Gemeinde. Vor dem genehmigten Abriss bewahrt, wurde es Mitte der 1970er Jahre als Musterbeispiel der Stadtsanierung gepriesen. Foto nach mehreren zwischenzeitlichen Sanierungen vom Oktober 2018. Foto: Stefan Schäfer

Die antisemitischen Unruhen nach den Schüssen von Paris brachen bereits am 7. November 1938 in der ca. 20 Kilometer entfernten Gauhauptstadt von Kurhessen, Kassel, aus. Neben der Demolierung einiger Geschäfte galt der Angriff vor allem auch der Synagoge an der Unteren Königstraße, in der einige Brände gelegt wurden, die die Feuerwehr später löschte. Nach späteren Zeugenaussagen inszenierten rund 30 Männer in Zivil einen „Volksaufstand“, die die örtliche Gestapo-Leitstelle gegenüber dem Chef der Reichskanzlei, Heinrich Lammers, in einem Bericht  zu einem Aufstand einer gut tausendköpfigen Menschenmenge aufblies.  Dies diente dem Zweck, eine bis dato nie dagewesene Gewaltorgie als einen Akt des „Volkszorns“ erscheinen zu lassen.

Kurz vor Mitternacht des 8. November 1938 drangen in Münden weniger als ein Dutzend nicht-uniformierter Männer in das Gebäude der Jüdischen Gemeinde in der seinerzeitigen Hinterstraße ein. Das Gemeindebüro wurde aufgebrochen und zahlreiche Unterlagen entwendet. Hauptziel war aber die im Hinterhof errichtete Synagoge. Die vier bemalten Rundbogenfenster wurden zertrümmert. Im Betsaal waren der Thora-Schrein, die ihn umgebenden Vorhänge und die Thora selbst das Ziel des Angriffs. Was man tragen und transportieren konnte, wurde auf den nächstgelegenen freien Platz, auf die Fuldainsel „Tanzwerder“, geschafft und angezündet. Ein Zündeln in der Synagoge unterblieb, da ein außer Kontrolle geratenes Feuer einen Großbrand in der dichtbebauten Altstadt hätte bedeuten können. Am Morgen des 09. November 1939 suchte der 73-jährige Vorsteher der jüdischen Gemeinde, Louis Löwenthal, die Polizei im Rathaus auf. Zwei Beamte der Kriminalpolizei protokollierten die Schäden vor Ort und beendeten ihre Niederschrift und damit jegliche weiteren Ermittlungen mit dem Satz: „Der Anzeigenerstatter als Vertreter der Synagogengemeinde erklärte, daß er Strafantrag gegen die Täter nicht stelle und brachte zum Ausdruck, daß nach seiner Ansicht die Tat auf Grund der Pariser Vorfälle am 7. November 1938 als Vergeltungsmaßnahme verübt worden sei.“ Die im Dunkel der Nacht agierenden Täter wurden nicht erkannt, also auch nie zur Verantwortung gezogen. In den frühen Morgenstunden des 10. November 1938 wurden 22 jüdische Männer in Münden, von denen sich vier besuchsweise in Münden aufhielten, verhaftet und in das Gerichtsgefängnis Göttingen überstellt. Um die Verhaftungen zeitgleich durchführen zu können, griff man auf die örtliche SA zurück und verübte bei einzelnen Verhaftungen Gewalt gegen Personen und Eigentum. So wurde Rechtsanwalt Dr. Graupe derart zusammengeschlagen, dass er transportunfähig war und  mit einem Auto nachträglich überführt werden musste. Neben Bargeld der Synagogengemeinde, wurde auch deren Schriftverkehr und bedeutsame Akten wie Geburts-, Trauungs- und Sterbelisten beschlagnahmt und an das „Rassepolitische Amt“ überführt.

Damit die Stadt durch die 17 zertrümmerten Fensterscheiben des Vorderhauses der jüdischen Gemeinde nicht verunziert würde, ließ die Stadt diese neu verglasen, was schließlich der jüdischen Gemeinde in Rechnung gestellt wurde.

Am 1. Februar 1939 ermittelte die Ortspolizeibehörde aus der „Judenkartei“ noch 43 Personen für die Gestapo. Sie fristeten ein Leben unter wachsenden Restriktionen. Sie verloren Einkommen, Wohnung und unter Umständen auch das Leben, wie im Fall des gewaltsamen Angriffs auf den 29-jährigen Erwin Proskauer, der am 3. Oktober 1939 durch fünf alkoholisierte SA-Männer umgebracht wurde. Am 26. März 1942 wurden 15 Personen der Gestapo Hildesheim überstellt. Mit dem Ziel der vermeintlichen „Auswanderung in den Osten“  wurden diese mit einem normal verkehrenden Personenzug unter Polizeibewachung nach Hildesheim gebracht. Sie hielten sich dann bis zum 31. März 1942 in der zum „Sammellager für Juden“ umgewandelten Gartenbauschule Ahlem in Hannover zusammengepfercht in drangvoller Enge auf.

In der Nacht vom 31. März auf den 1. April 1942 setzte sich ein mit rund 1000 Personen besetzter Zug von Hannover-Fischerhof aus in Bewegung. Das Ziel: Warschauer Ghetto. Niemand kehrte zurück.

Am 20. Juli 1942 verließen sieben weitere Personen Münden. Wiederum über Ahlem deportierte man fünf ältere Menschen nach Theresienstadt.

Rosa Nassauer verlor gemeinsam mit ihrer Tochter Ruth die rechtliche Auseinandersetzung mit dem „Reichssippenamt“ um den Nachweis der „jüdischen Abstammung“. Am 2. März 1943 wurden sie ab Hannover in einen Güterzug verfrachtet, der am 3. März 1943 mit über 1.500 Menschen Auschwitz-Birkenau erreichte.

Frieda Hartung wurde am 13. Januar 1944 nach Theresienstadt deportiert. Ihre Konvertierung zum christlichen Glauben und ihre Eheschließung mit einem Christen sowie die entschlossene Hilfe Dritter verhinderten eine vorzeitigere Deportation. Dies half ihr, als Einzige am Leben zu bleiben.

Kaum waren die Spuren der Gewalt am Vorderhaus in Form der zertrümmerten Scheiben beseitigt, (denn in dem dreistöckigen Haus gab es auch nicht-jüdische Mietparteien) schon interessierte sich ein Mündener Kaufmann für den Erwerb des Grundstücks mit Vorderhaus und Synagoge. Für 11.000 Reichsmark erwarb dieser am 14. Februar 1939 den Grund und Boden samt Gebäuden. Über den Kauferlös konnte die jüdische Gemeinde nicht frei verfügen. Dieser wurde auf ein Sperrkonto eingezahlt. Unter § 4 des Kaufvertrages hieß es: „Dies[sic!] Sonderkonto soll zur Bestreitung von Wohlfahrtslasten jüdischer Gemeindemitglieder, zur Unterstützung der Auswanderung bedürftiger Gemeindemitglieder, zur Instandhaltung der Begräbnisstellen und des Friedhofs sowie zur Bestreitung von Steuern und öffentlichen Lasten eingerichtet werden.“ Im Kaufvertrag wurden explizit auch die Bänke der Synagoge genannt, die den Pogrom offensichtlich mehr oder weniger beschädigt überstanden hatten. Sogleich stellte der Eigentümer einen Bauantrag. Der grundsolide Bau der Synagoge sollte als Lebensmittellager hergerichtet werden. Dazu sollte eine rund drei Meter breite Durchfahrt durch das Vorderhaus angelegt werden. Bruchsteinsockel und ein Teil der Kellergewölbekappe wurden abgetragen und ein Beton-Estrich-Belag gegossen. Über dem Sockelgeschoss der Synagoge erhob sich der Betraum mit einer lichten Höhe von 5,80 m, dessen nach Osten ausgerichtete vier, mit Buntglas versehene Fenster für gute Belichtung sorgten. Dieses Aufstocken auf ein Sockelgeschoss war notwendig, damit überhaupt angemessenes Tageslicht in den Innenraum fallen konnte. Nach Süden und Norden lehnte sich die Synagoge an die Nachbarbebauung an. Nach Westen ergab ein lediglich gut 3 m breiter Hofraum zum Vorderhaus lediglich eine begrenzte Belichtung. An der Ostwand der Synagoge befand sich bereits die Frauenempore. Hieran anknüpfend, wurde auf der gesamten Fläche von Zimmermannshand ein Boden eingebaut. 1961 wechselte das Gebäude erneut den Besitzer. Für nunmehr 55.000 DM erwarb es die „Mündener Kaufhaus GmbH“.

1968 stellte diese einen Antrag auf Abriss des Vorder- und Hinterhauses zwecks Errichtung eines Heimwerkermarktes. Der Stadt gelang es, den Antragsteller bis 1972 von diesem Vorhaben abzubringen, da sie einen Ausbau an anderer Stelle in Aussicht stellte. Schließlich wurde das Vorhaben erneut beantragt und auch um den Abriss des in den Akten explizit als „Synagoge“ bezeichneten Gebäudes ersucht. Bei einer Ortsbesichtigung wurde im Oktober 1972 durch den Stadtbaurat Dülfer festgestellt, dass dem Eigentümer aufgrund der Baufälligkeit der Dächer eine Sanierung nicht zugemutet werden könne. Dem Vorderhaus sollte eine Fachwerkfassade vorgeblendet werden. Am 20. Dezember 1972 erteilte die Stadt die Abrissgenehmigung für die Gebäude unter der vorgenannten Prämisse. Inzwischen wurde das „Mündener Kaufhaus“ an einen neuen Eigentümer verkauft. Bei einer Hausbesichtigung im Oktober 1973 war die Synagoge offenkundig bereits abgerissen worden. Nun fielen dem Stadtbaurat die vortrefflich restaurierten Eichenbalken des Vorderhauses und eine Tür im Renaissance-Stil auf. Bei den Umbauarbeiten der Durchfahrt zum ehemaligen Warenlager sei man auf einen „Gang“ gestoßen. Dieser sollte sich als die Wiederentdeckung des Zugangs zur Mikwe herausstellen, die Anfang 1939 mit Bauschutt aus dem Umbau zugeschüttet wurde. Ein Antrag auf den Bau eines eingeschossigen Warenlagers mit Flachdach für einen Verbrauchermarkt wurde gestattet. Am 31. Dezember 1973 schilderte die lokale Zeitung in Münden eine kleine Sensation. Unter der Überschrift „Altes Judenbad in Münden entdeckt – das Sechste in der Bundesrepublik“ wurden die Pläne des Eigentümers für die künftige Nutzung geschildert: „Dieses Gewölbe will der Hausbesitzer zu einer Bar ausbauen. Die Handwerker planieren den gestampften Erdboden. Estrichbeton soll verlegt werden.“ Das Haus wurde Mitte der 1970er Jahre als ein gelungenes Beispiel für die Bewahrung alter Häuser und deren Sanierung gefeiert. Erneut war es die Mündener Allgemeine, die am 18. April 1974 über die Einschätzung des Ortsheimat- und Stadtbildpflegers Heinz Hartung, Sohn der deportierten Jüdin Frieda Hartung, zur Sanierung berichtete: „Anlass zur großen Freude hatte er allerdings bei der Renovierung des Fachwerkhauses Hinterstraße 7 (jetzt Hinter der Stadtmauer 23) das ausgerechnet ein „Fremder“ erworben und mustergültig renoviert hat.“ Lediglich den Einbau von Thermopane-Fenstern statt Sprossenfenstern bedauerte er, hierfür hatte aber keine rechtliche Vorgabe bestanden.

Querschnitt durch die Synagoge (links) und das Gemeindehaus. Im Zuge des Umbaus zu einem Warenlager, Ende 1939, entstand eine Tordurchfahrt, die den Neubau der Treppen erforderte. Mit Bauschutt wurde die Mikwe zugeworfen und im Anschluss an die östliche Empore eine durchgehende Balkenlage eingezogen. Im Dezember 1941 erfolgte der Anbau eines Außenschornsteins zur Beheizung des Gebäudes. Auszug aus der Bauakte 273, Stadtarchiv Hann. Münden

Aus dem jetzigen Blickwinkel scheint der widerspruchslose Abriss der ehemaligen Synagoge nahezu unwirklich. Eine baugeschichtliche Bestandsaufnahme des Landes Hessen kommt zu dem interessanten Ergebnis, dass von 223 Synagogen, die am 08. Mai 1945 vor der Zerstörung bewahrt werden konnten, 59 bis 1987 abgerissen wurden. Vergleichbare Zahlen sind sicherlich auch in anderen Bundesländern zu erwarten.

Festgestellt werden muss, dass die Normierung des Denkmalschutzes in dem zu betrachtenden Zeitraum nicht weit entwickelt war. Das Niedersächsische Denkmalschutzgesetz stammt aus dem Jahre 1978. Überlegungen zur Rettung der Synagoge haben keinen Niederschlag in die Bauakte gefunden, hätten jedoch bei Einschaltung des Bezirkskonservators für Denkmalpflege und einer anderen Haltung städtischer Entscheidungsträger einen Abriss verhindern können. Ein von der Stadt 1971 beauftragtes Sanierungsgutachten zur flächenhaften Sanierung der Altstadt stufte Schulhaus und Synagoge als erhaltungswürdig ein. In seiner heimatgeschichtlichen Serie „Münden gestern – Heute gesehen“ in der Mündener Allgemeinen vom 4. November 1978 äußerte sich Dr. Brethauer wie folgt: „Das Synagogengebäude hinter dem ehemaligen Schulhaus der jüdischen Gemeinde wurde eines Tages abgebrochen, ohne das die beiden Ortsheimatpfleger (gemeint waren Brethauer und Hartung) davon unterrichtet wurden (!)“. Bei einem anderen bedeutungslosen Hinterhofschuppen des Bauprojekts, der nicht der vormaligen jüdischen Gemeinde gehörte, wurde hingegen dessen abrissbejahende Expertise  eingeholt.

Im November 1978 erwachte das Interesse an der Geschichte der Mündener Juden, 40 Jahre nach der Pogromnacht. Der Kulturring, ein Verein zur Förderung der städtischen Kultur und die Stadt richteten erstmalig eine feierliche Gedenkveranstaltung im Rathaus aus. Ergänzend gab die Stadt eine Broschüre mit Dokumenten der Verfolgung aus dem Stadtarchiv heraus.

Als im Januar 1979 die US Fernsehserie „Holocaust“ im deutschen Fernsehen ausgestrahlt wurde, erwachte der Diskurs auf breiter Front. Fragen wurden gestellt, die jedoch häufig nicht oder hinter vorgehaltener Hand beantwortet wurden. Vertreter des Heimat-und Geschichtsvereins blendeten diese Fragen weitestgehend aus. Mit der von Seiten des DGB geförderten Gründung des Vereins zur Erforschung der Arbeiterbewegung in Hann. Münden, kurz AGV und der Bündelung der Interessen vieler Einzelakteure zur Geschichte der Juden in dem 1995 gegründeten Verein „Erinnerung und Mahnung“, wurde eine breitere gesellschaftliche Plattform für die Auseinandersetzung mit „belasteter Geschichte“ vor Ort geschaffen. Spätestens seit dem Jahre 2012, dem Jahr, in dem die Verstrickung des Jahrzehnte lang arbeitenden Mentors der Mündener Heimatgeschichte Dr. Karl Brethauer als einem führenden Mitarbeiter des eigens zur Verschleppung von Kunst- und Kulturgut geschaffenen Einsatzstabes Reichsleiter Rosenberg sich offenbarte, formulierte sich der Wunsch aller drei Geschichtsvereine, gemeinsam an einer Aufarbeitung und Vermittlung der NS Geschichte zu arbeiten.

Neben der Ausrichtung der bekannten Erinnerungstage fanden zahlreiche Vorträge, Presseveröffentlichungen, Stadtrundgänge zumeist unter Federführung des Archivs statt. Genau hier ist ein tragender Ansatzpunkt zu suchen. Es bedurfte der Sichtung und Neubewertung des  Archivguts und die Erweiterung der Sammlung durch Privatbestände und Vereinsarchive, um das bisweilen verschwommene Bild der NS-Zeit ordnen und für die jetzigen und zukünftigen Fragestellungen nutzen zu können. Ein Endpunkt dieser Bemühungen ist nicht erkennbar. Der Focus muss ausgerichtet werden, folgenden Generationen ein eigenes Bild vom Geschehen zu ermöglichen, dass nicht auf Anmutungen und Gerüchten, sondern vielmehr erschlossenen und zugänglichen Fakten beruht. In einer 2007 im Selbstverlag veröffentlichten Broschüre stellte der Mündener Bürger Friedhelm Schäfer die Frage, wie eine jüdische Kulturstätte nach 1945 fast unbemerkt aus dem Stadtbild verschwinden konnte. Insofern mag dieser Bericht als Beantwortung und Bestätigung der seinerzeitigen Feststellungen dienen.

Von nachhaltiger Bedeutung war und ist die Wiederaufnahme von Kontakten ehemaliger exilierter Mündener Juden, die Fortsetzung in der zweiten und dritten Generation der Überlebenden findet. Eine seit 1992 bestehende Städtepartnerschaft mit der Stadt Holon (Israel) gründet auf das gegenseitige Vertrauen, respektvoll, offen und verantwortungsbewusst für die gemeinsame Geschichte einzutreten.

Kontakt Stefan Schäfer: Schaefer@Hann.Muenden.de

Kontakt Julia Bytom: Bytom@Hann.Muenden.de