Duderstadt
Vorgeschichte
Die reichsweiten Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte fanden auch in Duderstadt Widerhall. Am 1. April 1933 wurde das Schaufenster des Geschäftes Rosenbaum zerstört. Mitglieder der SA standen vor jüdischen Geschäften und forderten die Duderstädter auf, nicht bei Juden einzukaufen.
Später wurden Kunden der „jüdischen“ Geschäfte fotografiert. Die Bilder hingen anschließend im Schaukasten des „Stürmers“, der nationalsozialistischen Parteizeitung, am Rathaus.
Immer wieder gab es Angriffe auf diese Geschäfte, zum Beispiel wurden Pflastersteine in die Schaufenster der Läden geworfen wurden.
Trotz aller Schikanen, auch von staatlicher Seite, existierten die beiden Textilgeschäfte auf der Marktstraße weiter, zum besonderen Ärger von Karl Schmidt-Stollberg von der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeitsfront, selbst Betreiber eines Textilgeschäftes. Er forderte die staatlichen Stellen mit dem Hinweis auf die noch erheblichen Umsätze der „jüdischen“ Geschäfte und der schwierigen wirtschaftlichen Situation der sogenannten „arischen“ Textilbetriebe, zu handeln. Den Geschäftsinhabern jüdischen Glaubens wurden unlautere Verkaufsmethoden unterstellt. Noch am 3. November 1938, wenige Tage vor den Novemberpogromen, wies die Geheime Staatspolizei den Landrat des Kreises Duderstadt an, alles zu unternehmen, um den „noch erheblichen Absatz“ zu unterbinden.
Im Jahre 1938 lebten in Duderstadt im Wesentlichen noch vier Familien jüdischen Glaubens, insgesamt noch 18 Erwachsene und Kinder. Auf der Marktstraße im Haus Nr. 40 betrieben trotz aller Schikanen die Familie Johanna und Gustav Löwenthal zusammen mit ihren Kindern Emmi, Anneliese und Erich ihr Textilgeschäft. Auf der anderen Seite der Markstraße, gegenüber, betrieb die Witwe Fransiska Rosenbaum mit ihren Kindern Margarete und Ernst ihr Modegeschäft.
Eine weitere jüdische Familie, Selma und Joseph Israel mit ihren Kindern Leo, Norbert und Hans lebte in der Obertorstraße 59. Joseph Israel war Viehhändler. In Duderstadt gab es zwei sehr bekannte Viehhändler jüdischen Glaubens. Der Viehhändler Arno Stein, Bahnhofstraße, hatte schon 1933 Deutschland in Richtung Mexiko verlassen.
Joseph Israel wurde der Viehhandel im Juni 1938 verboten. Er arbeitete anschließend in der Ziegelei in Teistungen, um sein Familie zu ernähren.
In der Lehrerwohnung in der Synagoge lebte zu diesem Zeitpunkt Iwan Cohn mit seiner Frau Minna, die nicht jüdischen Glaubens war und der Tochter Erika.
Die Ereignisse im November 1938
In Duderstadt wurde in den Morgenstunden des 10. November 1938 die Synagoge in der damaligen Gartenstraße (heute Christian Blank Str.) angezündet und die beiden jüdischen Geschäfte auf der Marktstraße, das Textilgeschäft von Franziska Rosenbaum, Marktstraße 37 und das Textil- und Modegeschäft von Gustav Löwenthal, Marktstraße 40, geplündert.
Über die Zerstörung der Synagoge am 10. November 1938 berichtete ein Zeitzeuge:
„Als ehemaliges Mitglied der Duderstadt Freiwillige Feuerwehr war ich im Dienstanzug zur Brandstelle geeilt, um mich bei den Löscharbeiten zu beteiligen. Leider war die Feuerwehr an der Brandstelle nicht zu sehen, aber dafür stand der damalige Nazibürgermeister Andreas Dornieden an der Brandstelle und schrie mich an: ‚Was wollen Sie hier? Machen Sie, daß Sie fortkommen, Sie haben hier nichts zu suchen, sonst lasse ich Sie einsperren.‘
Die wenigen Zuschauer bekundeten den Schwestern des Ursulinenklosters ihre Anerkennung für die Rettung eines Teiles der Wohnungseinrichtung der Familie der in der Synagoge Wohnenden. Das Feuer soll von einem Stoßtrupp der Göttinger Nazis gelegt worden sein, um die hiesigen Nazis nicht zu verunsichern. Wahrscheinlich hat man die hiesigen Stoßtrupps in anderen Städten als Brandstifter eingesetzt.“
Dieser Bericht stammt von dem bereits erwähnten SPD-Mitglied Karl Vollmer, der später von den Nationalsozialisten in das KZ Neuengamme verbracht worden ist, das Lager überlebte und eine der wichtigsten Persönlichkeiten beim demokratischen Wideraufbau nach 1945 war.
Die zu diesem Zeitpunkt schon gleichgeschaltete „Südhannover Volkszeitung“ der Familie Hövener berichtete am 11. November 1938:
„Protestkundgebung gegen die jüdische Mordhetze
Wie in vielen Teilen des Reiches, kam es nach dem Ableben des durch jüdische Mordhand niedergestreckten Geheimrates von Rath gestern auch bei uns in Duderstadt zu Protestkundgebungen gegen das Judentum. In den Morgenstunden ging zunächst die Synagoge in Flammen auf, und später kam es zu spontanen Kundgebungen vor den beiden sich noch am Platz befindlichen jüdischen Geschäften. Die männlichen Juden hatte man in Schutzhaft genommen.“
Es ist davon auszugehen, dass ein Kommando der 51. SS-Standarte aus Göttingen die Synagoge angezündet hatte. Sie brannte bis auf die Mauerreste nieder.
Auf dem Grundstück in der Gartenstraße wurden die Mauerreste der Synagoge schnell beseitigt. Das Grundstück erwarb die Stadt Duderstadt von der Synagogengemeinde Duderstadt, die von Erich Löwenthal vertreten wurde, zu einem Preis von 3.300 RM. Genau wie die Geschäftsinhaber jüdischen Glaubens auf der Marktstraße wurde die jüdische Gemeinde als Organisation gezwungen, ihr Eigentum weit unter Wert zu verkaufen.
Die NSDAP-Gauleitung plante auf dem Grundstück den Bau eines „Musterkindergartens“ der „Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt“. Zu dem Bau ist es allerdings nicht mehr gekommen. Aufgrund des Kriegsbeginns gab es wahrscheinlich andere, wichtigere Vorhaben. Auf dem Grundstück wurde zum Ende des Krieges ein Bunker für ein Militär-Lazarett, das sich im Kloster gegenüber befand, gebaut. Der Bunker wurde nach dem Krieg, vor der Übertragung des Grundstückes von der Stadt Duderstadt auf den Konvent der Ursulinen, beseitigt.
Die Plünderung der beiden Geschäfte in der Marktstraße erfolgte durch ein Kommando der 51. SS-Standarte aus Göttingen. Das vorgefundene Bargeld, die Sparkassenbriefe und die Kraftfahrzeuge der Familien wurden von der SS mit nach Göttingen genommen. Die Waren aus den Geschäften waren der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) in Duderstadt übergeben worden.
Während der Plünderung ihres Geschäftes hatte sich die Inhaberin Franziska Rosenbaum noch hilfesuchend an den Bürgermeister der Stadt Duderstadt, Andreas Dornieden, gewandt. Dornieden half den jüdischen Familien aber nicht.
Die Reaktion der Duderstädter Bevölkerung war unterschiedlich: Es gab Duderstädter, welche die Situation nutzten und Stoffballen aus den jüdischen Geschäften heraus trugen, andere schwiegen einfach. Es gab aber auch Duderstädter, wie den Sozialdemokraten Karl Vollmer, der auf der Marktstraße gegen die Plünderungen deutlich protestierte.
Während dieser Aktion wurden die noch in Duderstadt befindlichen Einwohner jüdischen Glaubens verhaftet und der Geheimen Staatspolizei übergeben, jedoch schon einige Tage später wieder aus der Haft entlassen.
Folgen
Nach diesen Ereignissen versuchten noch mehr jüdische Einwohner Deutschland zu verlassen.
Franziska Rosenbaum verkaufte noch im November 1938 ihr Haus an das Uhren- und Goldwarengeschäft Ernst Werner und Johanna und Gustav Löwenthal verkauften im gleichen Monat an den benachbarten Bäckermeister Fredershausen.
Franziska und Margarete Rosenbaum verzogen nach Hamburg und wurden später im Ghetto Litzmannstadt ermordet. Ernst Rosenbaum ging im März 1939 nach London. Er kehrte als alliierter Soldat noch einmal nach Duderstadt zurück.
Johanna und Gustav Löwenthal flohen mit den Kindern nach Holland. Später wurden sie im KZ Auschwitz ermordet. Erich Löwenthal zog in das Haus Obertorstraße 59 zu Familie Joseph Israel und wurde zusammen mit ihnen am 26. März 1942 von der Gestapo verhaftet. Er wurde im KZ Majdanek ermordet; die Familie Israel wurde in den „Osten verbracht“ – sie gilt als verschollen.
Iwan Cohn floh ohne seine Familie, die nach Köln verzog, nach Shanghai. Später lebte er in Israel und kehrte sogar für eine kurze Zeit nach Duderstadt zurück.
Spuren und Gedenken
Als die Stadt Duderstadt im Jahr 2018 die Neuinventarisierung seiner Denkmäler durchführte, stießen die Mitarbeiter im Bauamt der Stadt Duderstadt auf den Bauantrag und die Genehmigung des Synagogenbaus. Dadurch ist bekannt, dass das Gesamtgebäude eine Länge von 20 Metern und eine Breite von 10 Metern hatte. Hinter dem Gebäude in Richtung des Walls war für die Schulkinder ein Turn- und Spielplatz angelegt worden.
In dem Gebäude befanden sich im Erdgeschoss das Schulzimmer für 30 Kinder und ein Konferenzraum. Der eigentliche Synagogenraum hatte eine Länge von 13 Metern und eine Breite von 10 Metern. Der Synagogenraum ging über zwei Geschosse. Er hatte wie üblich eine Empore für die Frauen der jüdischen Gemeinde. In der Synagoge waren Bänke für ca. 100 Personen. Um 1900 hatte die jüdische Gemeinde in Duderstadt 85 Mitglieder.
An der Ostwand war der Thoraschrein, hier wurden die Thorarollen aufbewahrt. In der Mitte des Raumes stand, etwas erhoben die Bima, das Lesepult. Auf der Bima wurde von dem Vorbeter aus der Thorarolle der Wochenabschnitt aus der Thora, den fünf Büchern Mose, vorgelesen.
Weiterhin war in dem Gebäude im 1. Obergeschoß eine Lehrerwohnung untergebracht. Eine Mikwe, ein jüdisches Ritualbad, gab es in dem Gebäude nicht.
Das Gebäude sollte direkt an die Gartenstraße gebaut werden. Bei der Baugenehmigung bekam die jüdische Gemeinde die Auflage, einen Abstand von 10 Meter vom Bordstein einzuhalten.
Der Architekt des Synagogengebäudes war Franz Borchad aus Nesselröden. Eine Vielzahl von Gebäuden in der Stadt Duderstadt sind von dem Architekten und Bauunternehmer gebaut worden.
Der Bauplan bestätigt Angaben, die Rolf Ballin in einem Gespräch im Jahr 2004 gemacht hat. Rolf Ballin war als Kind in der Synagoge in Duderstadt. Er verzog mit seinen Eltern nach Nordhausen. Später konnte er über England nach Israel auswandern. Rolf Ballin war bis vor wenigen Jahren der letzte lebende (ehemalige) Einwohner jüdischen Glaubens der Stadt Duderstadt. Er berichtete:
„An Festtagen waren 25 bis 30 Personen in der Synagoge. Es hatten ca. 100 Personen Platz. Es bestand im Erdgeschoss aus einem großen Raum und einer Treppe ins Obergeschoss, wo sich ein Unterrichtsraum – das war nur ein Zimmer – und eine Lehrerwohnung befand. Die Synagoge hatte im Obergeschoss eine Empore für die Frauen. In dem Synagogenraum befand sich ein Schrank mit Thorarollen an der östlichen Wand mit einem Vorlesepult mehr in der Mitte des Raumes. Die Bänke waren in Richtung des Vorlesepultes ausgerichtet. Einige Gemeindemitglieder hatten feste Plätze, die von ihnen gekauft worden sind. Dies war eine Einnahmequelle für die jüdische Gemeinde. Das Haus hatte wunderschöne Glasfenster. An das Fenster in Richtung Osten mit dem Davidstern kann ich mich erinnern.“
Heute erinnern zwei Gedenksteine, einer auf dem Wall und einer an der ehemaligen Gartenstraße an die Synagoge. Das Grundstück befindet sich im Eigentum des benachbarten Ursulinen-Klosters. Es gibt den Wunsch, die Umrisse der Synagoge durch eine Bepflanzung oder Beleuchtung auf dem Grundstück zu kennzeichnen. Der jetzt vorliegende Bauplan kann hierfür eine gute Grundlage sein.
Weiterführende Literatur und Links
Götz Hütt, Geschichte der neuzeitlichen jüdischen Gemeinde in Duderstadt, Books on Demand, Norderstedt 2012.
Hans Georg Schwedhelm, „Bei denen konnte man immer gut einkaufen.“ Das Ende des jüdischen Lebens in Duderstadt, Göttingen 2006.