Hannover
Vorgeschichte
Die ältesten Quellen mit Nachrichten über Juden in Hannover stammen aus dem 13. Jahrhundert – ein Pfandregister von 1292 nennt erstmals einen jüdischen Einwohner. Die Aufnahme jüdischer Einwohner in der Stadt ist vielfach belegt, wobei hauptsächlich jüdische Kaufleute und Geldverleiher geduldet wurden, deren Ansiedlung den Bürgern gute Geschäfte versprach und die Wirtschaftskraft förderte.
Nach der Pestkatastrophe von 1348, bei der die Juden als „Brunnenvergifter„ beschuldigt und vertrieben wurden, folgten zwei Jahrhunderte einer schwankenden Politik gegenüber den Juden. Zeitweise waren sie der guten Geschäfte wegen erwünscht, doch genauso entzog der Rat ihnen wiederholt den Schutz und ließ sie verjagen. Die Reformation im Jahr 1532 verstärkte die judenfeindliche Stimmung. 1588 wurden sämtliche Geldgeschäfte zwischen Juden und Christen verboten und alle jüdischen Einwohner mussten die Stadt verlassen.
Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein gab es keine Juden mehr in Hannovers Altstadt. In der Hannoverschen Neustadt wurde jedoch bereits im 17. Jahrhundert wieder eine Ansiedlung jüdischer Familien zugelassen, sodass sich hier eine kleine jüdische Gemeinde unter dem Schutz der fürstlichen Regierung bilden konnte.
1703 durfte ein eigenes Synagogengebäude errichtet werden. Der Synagogenbau belegt zwar die Tolerierung der jüdischen Bewohner, zeigt aber durch den versteckten Bauplatz in einem Hinterhof das Randdasein der Juden in der Gesellschaft.
Nach Aufhebung des Niederlassungsverbots 1842 durften auch die Juden ihren Wohnsitz frei wählen und mit dem Anwachsen Hannovers zur Großstadt nahm auch die Zahl jüdischer Einwohner zu. Die jüdische Gemeinde gehörte bald zu den zehn größten Gemeinden in Deutschland, sodass die alte Synagoge zu klein wurde.
Die von dem jüdischen Architekten Edwin Oppler entworfene neue Synagoge wurde von 1864 bis 1870 demonstrativ auf einem neugeschaffenen, zentralen Platz an der Bergstraße in der Calenberger Neustadt errichtet (heute Rote Reihe).
Die prachtvolle Synagoge in der Calenberger Neustadt war Kennzeichen der gesellschaftlichen Einbindung der jüdischen Gemeinde in Hannover. Doch gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann sich Antisemitismus zu regen, der während des Ersten Weltkrieges und zu Beginn der Weimarer Republik weiter zunahm. In Hannover war der organisierte Antisemitismus durch die Deutschnationale Volkspartei, den Deutschnationalen Handlungsgehilfenverband, eine Vielzahl völkischer Gruppierungen sowie die NSDAP, deren Ortsgruppe in Hannover am 2. Juli 1921 gegründet wurde, vertreten.
Die großen Hannoverschen Tageszeitungen „Anzeiger“ und „Kurier“ druckten kommentarlos antisemitische Beiträge ab. Bereits vor der Machtübernahme der NSDAP gab es Anschläge auf die neue Synagoge. Im Juli 1927 wurden Mauern mit Hakenkreuzen und dem Schriftzug „Schlagt die Juden tot“ beschmiert. 1930 wurde Brandstiftung an der Synagoge verübt und 1931 wurden während eines Gottesdienstes Schüsse auf die Synagoge abgegeben, was eine Panik unter den Betenden auslöste.
Äußerst radikal gebärdeten sich die Studentenvertreter der Technischen Hochschule Hannover. Sie forderten bereits 1919 einen Ausschluss der Juden von deutschen Hochschulen. Ein Jahr später wurden jüdische Studenten aus der örtlichen Studentenvertretung ausgeschlossen. Auch die Rufmordkampagne gegen den Professor der Philosophie Theodor Lessing, nach seiner sozialkritischen Berichterstattung über den Serienmörder Haarmann, zeigt den Antisemitismus an der Hochschule. Lessing musste schließlich seine Lehrveranstaltungen einstellen. Auf einer Hochschultoilette war daraufhin zu lesen: „Ich begrüße die Beseitigung des Judenschweins“.
Lessing befand sich auch unter den ersten jüdischen Gelehrten, die im April 1933 vom Preußischen Erziehungsministerium aus ihrem Amt entlassen wurden. Er flüchtete in die Tschechoslowakei, dort wurde er jedoch aufgespürt und von sudetendeutschen Nationalsozialisten umgebracht.
Die antisemitischen Ausschreitungen beschränkten sich nicht nur auf den „Judenboykott“ am 1. April 1933: Am 10. Mai rief die hannoversche Studentenschaft zur Bücherverbrennung an der Bismarcksäule in der Masch auf. Darin hieß es unter anderem: „Wir wollen deutschen Geist von Deutschen für Deutsche, deshalb Kampf dem Einfluss des Judentums und dem sich Breitmachen jüdischen Geistes in der deutschen Kultur“. Am 27. Mai wurden bei einem plötzlichen Überfall im Geschäftszentrum Hannovers die Schaufensterauslagen von etwa 50 jüdischen Läden zertrümmert sowie Gas- und Stinkbomben hineingeworfen. Wenige Tage später, nachdem die Polizei die Wiedereröffnung der Läden genehmigt hatte, wiederholten sich die Ausschreitungen.
In scheinbar neutraler Aufmachung publizierten Zeitungen mehrfach Listen der „Juden in Hannover“. Eine Erklärung verkündet, dass die Meldungen ausländischer Zeitungen Lügen seien und niemand beweisen könne, dass an den aufgelisteten Juden in Hannover jemals Greuel verübt worden seien. In Wirklichkeit sollte diese Zusammenstellungen mit Namen und Adressen jüdischer Geschäfte ebenfalls zu Ausschreitungen anregen.
Im Rahmen der „Polenaktion“ Ende Oktober 1938 wurden 484 Juden aus Hannover in den Versammlungssaal des früheren Arbeiterbildungsvereins am Hohen Ufer 3 gebracht. Anschließend wurden sie mit der Bahn über die polnische Grenze gebracht. Unter den Festgesetzten befanden sich auch die Eltern und zwei Geschwister des späteren Pariser Attentäters Herschel Grynszpan. Die Familie hatte seit 1915 eine kleine Wohnung in der Burgstraße 36 bewohnt (heute steht dort das Historische Museum). Der erst 17 Jahre alte Herschel hielt sich Ende Oktober 1938 in Paris auf. Nachdem er durch Briefe seiner Schwester vom Schicksal der Familie erfahren hatte, besorgte er sich eine Pistole, ging in die deutsche Botschaft in Paris und gab mehrere Schüsse auf den Botschaftssekretär Ernst vom Rath ab. Dieser erlag am Nachmittag des 9. November 1938 seinen Schussverletzungen.
Das Attentat diente überall im Deutschen Reich als fadenscheinige Legitimation, um die geplante Zerstörung jüdischer Synagogen, Einrichtungen und Geschäfte in der Pogromnacht als Ausbruch des „Volkszorns“ zu verkaufen.
Die Ereignisse im November 1938
In manchen Regionen war neben der SA auch die SS massiv an den Pogromen beteiligt. Dies trifft auf das Land Braunschweig und die südliche Provinz Hannover zu. Eine entscheidende Rolle spielte dabei SS-Obergruppenführer Friedrich Jeckeln, der seit 1933 Chef des Braunschweiger Landespolizeiamts und seit 1938 Höherer SS- und Polizeiführer (HSSPF) im Wehrkreis XI war. Die HSSPF unterstanden Himmler direkt und sollten im Mobilmachungsfall alle Polizei- und SS-Verbände in ihrem Wehrkreis unter einem Befehl vereinen. Obwohl diese neue Kompetenz nur für den Mobilmachungsfall gedacht war, nutzte Jeckeln sie offenbar, um die Ausschreitungen in seinem Bereich, von Hannover bis Dessau, zu organisieren.
Gegenüber den heutigen Universitätsgebäuden (Conti-Hochhaus) stand an der Westseite des Königsworther Platzes (1933-1945: Horst-Wessel-Platz 2) eine repräsentative Villa. Bis 1933 in jüdischem Besitz, wurde sie danach Kommandozentrale des SS-Abschnitts IV in Hannover. Aus diesem Haus lenkte Jeckeln am Abend des 9. November 1938 die Aktionen in Hannover und Umgebung: Zerstörung von Synagogen und Geschäften, Überfälle auf Wohnungen, Verhaftungen jüdischer Männer und ihre Einweisung in Konzentrationslager.
Die Durchführung durch SS-Trupps lief unter der Leitung des SS-Oberführers Kurt Benson.
Am Abend des 9. November um 18.00 Uhr veranstaltete die NSDAP in der Stadthalle eine Gedenkfeier zur Erinnerung an den Hitler-Ludendorff-Putsch vom 9. November 1923. Diese Veranstaltung endete zwischen 20.00 und 21.00 Uhr. Gegen 20.00 Uhr begannen im Konzerthaus am Leineufer die Feierlichkeiten zur Vereidigung von Anwärtern der hannoverschen SS. Kurt Benson erschien gegen 00.00 Uhr im Konzerthaus, nachdem er zuvor die SS in der Stadthalle repräsentiert hatte. Nach Mitternacht begann die rituelle Vereidigung der neuen SS-Mitglieder, die aus der HJ und der Polizei stammten, durch Benson. Die Veranstaltung im Konzerthaus endete um 1.30 Uhr und die SS-Verbände zogen in Richtung der neuen Synagoge in der Bergstraße. Diese wurde währenddessen bereits ausgeraubt und anschließend in Brand gesteckt, wobei 34 Thorarollen zerstört wurden. Die SS sperrte die Synagoge ab und um 02.35 Uhr wurde Feueralarm durch die Staatspolizei durchgegeben. Die spät alarmierte Feuerwehr beschränkte sich auf den Schutz der umliegenden Häuser.
Ein Teil der SS-Männer wurde von der Synagoge abgezogen, um ab 3.00 Uhr Übergriffe auf Geschäfte und Wohnungen von Juden durchzuführen. „Am frühen Morgen wurde die Kuppel des Synagogenbaus von der Technischen Nothilfe gesprengt, wenig später war das Feuer gelöscht. Der Brand und die anschließende Sprengung wurden trotz der Absperrungen, bei denen nach Ablösung der SS auch Arbeitsdienst und Schutzpolizei eingesetzt wurden, von einer großen Menschenmenge beobachtet.“, heißt es im Historischen Handbuch der jüdischen Gemeinden. Der Lagebericht der Polizei von 8.15 Uhr sprach von einer Menschenansammlung von ca. 300 Personen.
Peter Schulze schildert im Historischen Handbuch der jüdischen Gemeinden die weiteren Vorgänge: „Tagsüber wurde auch die 1928 erbaute Halle auf dem jüdischen Friedhof Bothfeld in Brand gesetzt und schwer beschädigt. Die Betstube wurde demoliert und die Mikwe (rituelles Bad) im Gemeindehaus durch eine antijüdische Schmähschrift entweiht. Im Verlauf des 10. Novembers schwärmten weitere Kommandos der SS, aber auch andere NS-Organisationen sowie die NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) im gesamten Stadtgebiet aus und verhafteten zahlreiche jüdische Männer, stürmten, demolierten und plünderten insgesamt 27 jüdische Wohnungen und 94 Geschäfte, wie in Polizeiberichten dokumentiert wurde. Auf Befehl des SS-Oberführers Benson wurden ab 18.00 Uhr erneut jüdische Geschäfte demoliert und Wertgegenstände beschlagnahmt.
Zu den namentlich bekannten Tätern gehörten der Juwelier Sander, der Kaufmann Göbelhoff sowie andere hannoversche Geschäftsleute, die der SS angehörten. SS-Obergruppenführer Jeckeln beschlagnahmte persönlich das Bargeld der Firma Sternheim & Emanuel. Im Dienstgebäude der SS und bei der NSV wurde das Raubgut zusammengetragen: Geldkassetten, Radios, Leuchter, Schmuck, Uhren und andere Wertgegenstände. Außerdem wurden Autos und Motorräder beschlagnahmt sowie auf besondere Anweisung Jeckelns am 11. November alle Bankguthaben und Wertdepots von Juden gesperrt.
Zur Beendigung des von SS- Oberführer Benson kommandierten mehrtägigen Raubzugs wurde schließlich die Gestapo eingesetzt; nach internen Untersuchungen wurden mehrere SS- Leute wegen persönlicher Bereicherung abgestraft.“
In der Nacht vom 9. auf den 10. November wurden 333 jüdische Männer und mit Else Graetz auch eine Frau im Polizeigefängnis und in der Turnhalle der ehemaligen Kriegsschule inhaftiert. Else Graetz, in einer „Mischehe“ mit Hermann Graetz verheiratet, wurde wegen angeblicher Fluchtbegünstigung ihres Mannes festgenommen. Nachdem sich ihr Mann, der sich bei Freunden verborgen gehalten hatte, gestellt hatte, wurde er in Haft genommen und seine Frau dafür freigelassen.
Der Kaufmann Julius Buchholz war mit 77 Jahren der älteste Häftling, der jüngste, Cygiel Isaak, war kurz zuvor erst 16 Jahre alt geworden.
275 Verhaftete aus Hannover und der Region wurden in das KZ Buchenwald deportiert, misshandelt und drangsaliert. Sie kamen nach unterschiedlich langer Haftzeit frei – nach der Versicherung, mit ihren Familien Deutschland zu verlassen.
Folgen
Die Brandstiftungen und Terroraktionen liefen in aller Öffentlichkeit ab und erregten großes Aufsehen, aber die hannoverschen Tageszeitungen berichteten nur knapp, wobei sie auf die offizielle Sprachregelung angeblicher „spontaner judenfeindlicher Kundgebungen“ zurückgriffen. Tatsächlich aber hatte sich die Bevölkerung überwiegend passiv verhalten und stand den Ausschreitungen eher kritisch gegenüber – dies jedoch weniger aus Mitgefühl für die Juden, sondern aus Unmut über die Zerstörung von Sachwerten.
Nach Zerstörung der Oppler-Synagoge wurden die Gottesdienste wieder in der alten Synagoge abgehalten.
„In den wenigen Wochen bis Jahresende verließen 100 jüdische Einwohner die Stadt. 1939 wurden mehr als 750 Juden gezählt, die ins Ausland gingen. 400 Emigranten nannten europäische Länder als Ziele, vor allem England, Niederlande und Belgien. Durch die Schließung weiterer Geschäfte und Firmen im Winter 1938/1939 wurde das Ende der wirtschaftlichen Betätigung der Juden erzwungen, profitable Betriebe wurden ‚arisiert'“, schreibt Peter Schulze im Historischen Handbuch der jüdischen Gemeinden.
Im August 1941 ordnete Gauleiter Lauterbacher die Sammlung der verbliebenen Jüdinnen und Juden in 16 „Judenhäusern“ an. Ihr zurückgelassenes Eigentum wurde geschätzt und versteigert. Mehr als 1200 jüdische Bürgerinnen und Bürger Hannovers mussten am 3. September 1941 innerhalb weniger Stunden ihre Wohnungen verlassen. Sie wurden zwangsweise in eins der „Judenhäuser“ im Stadtgebiet eingewiesen. Das Wohnhaus Herschelstraße 31 war eines von ihnen. Dort lebten etwa 150 Menschen. Auch die Friedhofshalle „An der Stangriede“ wurde zum Massenquartier für etwa 130 Menschen, jeder hatte nur einen Platz von zwei Quadratmetern. Die „Judenhäuser“ wurden regelmäßig von der Gestapo kontrolliert, wobei es häufig zu schweren Misshandlungen der Bewohner kam.
Auf die Nachricht von der bevorstehenden Deportation nahmen sich 1941/42 elf Menschen das Leben, weitere zwei vor der Überführung zur Sammelstelle in Ahlem. Aus Hannover und Umgebung wurden zwischen 1941 und 1945 mit acht Transporten 2.400 Juden in Ghettos und Vernichtungslager verschleppt.
Biografie - Horst Egon Berkowitz
Horst Egon Berkowitz wurde am 16. Januar 1889 als drittes von vier Kindern als Sohn von Esther und David Berkowitz in Königsberg, Ostpreußen geboren. Die Familie zog 1902 nach Hannover in die Erwinstraße 3, wo Horst Berkowitz zeitlebens wohnen blieb. Von 1904 bis 1915 besuchte er die Leibnizschule Hannover, an der er 1915 sein Abitur als Notreifeprüfung ablegte, um am Ersten Weltkrieg teilnehmen zu können. Beim 74. Infanterieregiment kämpfte er zunächst in Russland, danach in Frankreich, wo er im November 1915 durch die Explosion einer Granate schwer verwundet wurde und unter Anderem sein rechtes Auge verlor. Er galt als schwer kriegsbeschädigt und wurde mit dem goldenen Verwundetenabzeichen ausgezeichnet.
Trotz seiner schweren Verletzungen schloss er das Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen 1922 erfolgreich ab und begann in Hannover als Strafverteidiger zu arbeiten. 1928 wurde er zum Notar bestellt. Er war seit 1925 mit seiner zweiten Frau Rahel Luise verheiratet und wohnte mit ihr in der Erwinstraße. Die Ehe blieb kinderlos.
Vom Boykott gegen jüdische Anwälte 1933 war er nicht betroffen, da diese Verordnung nicht für schwer Kriegsgeschädigte galt. Somit eröffnete er 1934 seine eigene Anwaltskanzlei und konnte bis 1938 darin weiter arbeiten. Die Amtsbefugnis als Notar wurde ihm allerdings 1935 entzogen.
In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde Horst Berkowitz von seiner Schwägerin Else Berkowitz am Telefon über die ersten Zerstörungen jüdischer Geschäfte in der Innenstadt informiert. Gegen 01.00 Uhr morgens klingelte es mehrfach und zwei Gestapo-Beamte holten Horst Berkowitz aus seiner Wohnung. Zuvor gab er seine Wertsachen und Schlüssel seiner Frau, da diese „arisch“ war und er damit rechnen musste, dass sie ihm sonst abgenommen worden wären. Auf der Ladefläche eines Lastwagens wurde er mit anderen jüdischen Männern in das Polizeipräsidium in der Hardenbergstraße gebracht.
Am nächsten Tag wurden die Verhafteten gegen 9.00 Uhr zum Hauptbahnhof gebracht und mit Waggons ins KZ Buchenwald abtransportiert. Schon bei der Ankunft in Buchenwald kam es zu schweren Misshandlungen durch die SS. Die Ankommenden wurden mit Stockschlägen angetrieben. Da Horst Berkowitz wegen seiner Kriegsverletzung nicht richtig laufen konnte, wurde er verhöhnt. Später wurde er niedergeschlagen, sodass er bewusstlos zusammenbrach. Als er erwachte, war er bereits in einer der Baracken untergebracht. Als ein SS-Arzt von seinem goldenen Verwundetenabzeichen erfuhr, welches Horst Berkowitz immer bei sich trug, wurde er von schwereren Arbeiten verschont. Nach etwa einem Monat wurde er im Dezember 1938 aufgrund seiner Kriegsverletzungen aus dem Konzentrationslager Buchenwald entlassen.
Danach durfte er nicht mehr als Anwalt arbeiten, wurde aber als „Judenkonsulent“ eingesetzt, um jüdische Bürger in rechtlichen Angelegenheiten zu beraten und vor Gericht zu vertreten. Sein Beratungsbüro richtete er in den Räumen einer alten Synagoge ein.
Der überwiegende Teil der Gebühren für seine Tätigkeit musste als Judenkonsulentenabgabe an die Reichsrechtsanwaltskammer abgeführt werden.
Obwohl die Stellung eines jüdischen Angeklagten vor deutschen Gerichten ohnehin nahezu aussichtslos war und auch die Möglichkeiten des Rechtsschutzes durch einen Judenkonsulenten sehr eingeschränkt waren, konnte Horst Berkowitz manchmal das Recht durchsetzen.
Im Herbst 1938 wurden sieben Kinder von einer umstürzenden Mauer erschlagen, die sich auf dem gepachteten Lagerplatz eines jüdischen Schrotthändlers befand. Gegen den jüdischen Pächter wurde ein Verfahren wegen fahrlässiger Tötung eingeleitet. Berkowitz gelang es durch ein Gutachten, die Unschuld seines Mandanten zu beweisen, sodass dieser wider Erwarten freigesprochen wurde. Die Niedersächsische Tageszeitung (Kampfblatt der NSDAP) brachte daraufhin einen objektiven Bericht über den Freispruch und erwähnte Berkowitz Namen ohne jede normalerweise übliche Schmähung.
Gegen Ende 1940 wurde Berkowitz verpflichtet, in der Gasmaskenproduktion der hannoverschen Firma Continental zu arbeiten. Zugleich hatte er ein Büro auf dem Gelände der Gartenbauschule, um auf Anweisung der Gestapo deren Geschäfte abzuwickeln und jüdisches Vermögen zu verwalten.
Im April 1945 wurde er von der britischen Besatzung als Anwalt rehabilitiert. Er gehörte zu den ersten Juristen, die sich für den Neubeginn des Justizwesens in Hannover einsetzten. In der Nachkriegszeit führte er einige „Wiedergutmachungsprozesse“ für Juden, stellte jedoch auch Nationalsozialisten „Unbedenklichkeitsbescheinigungen“ aus, insofern er dieser Überzeugung war.
Seine Frau Rahel Luise verstarb 1952. Sie hatte durch die Ereignisse des Novemberpogroms einen Nervenzusammenbruch erlitten, da sie in die SS-Kommandozentrale mitgenommen und streng vernommen worden war. Sie erholte sich nie wieder und musste auch in den Folgejahren immer wieder in die Nervenheilanstalt eingeliefert werden.
Zeitlebens war Horst Berkowitz ein leidenschaftlicher Münz- und Briefmarkensammler. Nach seinem Tod am 13. Februar 1983 überließ Berkowitz seine Briefmarkensammlung dem Staat Israel zur Förderung von Universitäten, Krankenhäusern und Kinderheimen. Der Erlös bei der Versteigerung der Briefmarken betrug über fünf Millionen Deutsche Mark.
Justizielle Ahndung
Gegen einige wenige hannoversche NS-Täter wurde nach 1945 Anklage erhoben.
Der 1946 vom britischen Militärgericht geführte Prozess gegen Gauleiter Lauterbacher endete mit Freispruch; er blieb zwar in Gewahrsam, konnte jedoch später aus dem Internierungslager fliehen und untertauchen.
Im Juli 1948 wurde der Gestapomann Hans Bremer vom Landgericht Hannover zu 10 Jahren Zuchthaus wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt.
Im Juli 1952 wurde der Gestapomann Wilhelm Nonne zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Mai 1949 wurde Christian Heinrichsmeier, der Vorgesetzte von Bremer und Nonne, zu 2 ½ Jahren Zuchthaus verurteilt.
Wegen Beteiligung an der Synagogenbrandstiftung wurden die Geschäftsleute August Göbelhoff und Richard Sander im Oktober 1948 zu Haftstrafen verurteilt.
Der für die Zwangsumsiedlung der hannoverschen Juden verantwortliche Stadtrat Bakemeier wurde niemals strafrechtlich belangt.
Friedrich Jeckeln, der nach dem Überfall auf die Sowjetunion 1941 einer der Hauptverantwortlichen für Massenerschießungen der jüdischen Bevölkerung in der Schlucht von Babyn Jar bei Kiew und bei dem Judenghetto Riga wurde, wurde nach seiner Gefangennahme von einem sowjetischen Kriegsgericht 1946 zum Tode verurteilt und gehängt.
Spuren und Gedenken
Am 10. November 1963, genau 25 Jahre nach der Zerstörung der von Edwin Oppler entworfenen Synagoge, weihte die jüdische Gemeinde ihre neue Synagoge in der Haeckelstraße ein. Der Platz der Oppler-Synagoge ist nach dem Krieg durch Gebäude der Evangelischen Kirche überbaut worden. Seit 1958 erinnert eine Gedenktafel und seit 1978 eine kleine Gedenkstätte an den Standort der Synagoge in der heutigen Roten Reihe. Auf der Gedenkplatte mit der Silhouette der früheren Synagoge steht die Inschrift:
„Ungestillt rinnt die Träne um die Erschlagenen unseres Volkes, Jer.8.23 / Hier stand die Synagoge – das Gotteshaus der jüdischen Gemeinde unserer Stadt – frevelhaft zerstört am 9. Nov. 1938. Zur Erinnerung und Mahnung“.
Die Friedhofshalle auf dem Friedhof „An der Stangriede“ ist ein historischer Ort von großer Bedeutung; Sie ist der erste und einzige noch bestehender Sakralbau des jüdischen Architekten Edwin Oppler und fungiert als Gedenkstätte der jüdischen Gemeinde für ihre Gefallenen des 1. Weltkrieges. Außerdem war die Friedhofshalle eines der „Judenhäuser“ vom 4. September 1941.
Ein Mahnmal am Opernplatz erinnert seit 1994 an die aus Hannover deportierten jüdischen Bürgerinnen und Bürger. Eingemeißelt sind die Namen von 1.935 jüdischen Bürgerinnen und Bürgern Hannovers, unter Angabe des Lebensalters zum Zeitpunkt der Deportation oder unter Angabe des Geburtsjahres. Ihr weiteres Schicksal wurde aufgeführt, soweit es bekannt ist. Wenn der Todesort nicht genannt werden konnte, wurde „Verschollen“ vermerkt.
In der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule, die 1941 zur zentralen Sammelstelle für Deportationen aus Hannover wurde, befindet sich heute die Gedenkstätte Ahlem. Die Ausstellung legt den Fokus auf die Verfolgung und Ausgrenzung während des Nationalsozialismus in Ahlem und auf das deutsch-jüdische Leben von Moritz Simon, dem Gründer der Gartenbauschule.
Seit Dezember 2007 werden im Stadtgebiet Hannover Stolpersteine verlegt. Derzeit erinnern mehr als 350 Stolpersteine an ihrem jeweiligen letzten Wohnort an die früheren jüdischen Bewohner, die im Nationalsozialismus ermordet wurden oder ausgewandert sind.
Weiterführende Literatur und Links
Beer, Ulrich, Versehrt verfolgt versöhnt. Horst Berkowitz – ein jüdisches Anwaltsleben, Essen 1979.
Landeshauptstadt Hannover/ Jüdische Gemeinde Hannover e.V. (Hrsg), Leben und Schicksal. Zur Einweihung der Synagoge in Hannover, Hannover 1963.
Mechler, Wolf-Dieter, Der Novemberpogrom 1938 in Hannover. Begleitband zur Ausstellung vom 5. November 2008 bis 18. Januar 2009 im Historischen Museum Hannover, Hannover 2008.
Schulze, Peter, Juden in Hannover. Beiträge zur Geschichte und Kultur einer Minderheit, Hannover 1989.
Ders., Beiträge zur Geschichte der Juden in Hannover, in: Hannoversche Studien. Schriftenreihe des Stadtarchivs Hannover, Bd. 6, Hannover 1998.
Ders., Hannover, in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, hg. v. Herbert Obenaus, Bd. 1, Göttingen 2005, S. 726-796.
Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum: Hannover (Niedersachsen)
Landeshauptstadt Hannover, Städtischer Erinnerungskultur: Am Gedenkort für die 1938 zerstörte Neue Synagoge, Rote Reihe, Hannover, Horst Berkowitz berichtete …
Landeshauptstadt Hannover, Städtischer Erinnerungskultur: Erinnerung im Straßenbild – Stolpersteine
Stolpersteine Hamburg: Gebrüder Hirschfeld
Stadtrundgang zu Orten der Verfolgung und des Widerstands 1933-1945 in Hannover