November­pogrome
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1938 in Niedersachsen

Nordenham

Im Jahr 1933 existierte eine Jüdische Gemeinde Brake-Nordenham, die 40 Mitglieder umfasste. In Nordenham lebten 24 Juden. Die Gemeinde verfügte über keine eigene Synagoge, verwaltete jedoch den seit 1795 bestehenden Friedhof in Ovelgönne, der im Dezember 1933 geschändet wurde. Gemeindevorsitzender war Robert Löwy, Inhaber eines Herrenkleidungsgeschäfts in Nordenham. In Einswarden (heute ein Stadtteil von Nordenham) ließen sich 1908 David und Thekla Jakobsohn als erste Juden nieder und eröffneten ein Herrenbekleidungsgeschäft.

Im Oktober 1930 gründete sich in Nordenham eine Ortsgruppe der NSDAP. Bei den Reichstagswahlen erhielt die Partei in Nordenham 37 Prozent und in dem 1933 eingemeindeten Blexen 35 Prozent der Stimmen.

Der „Judenboykott“ vom 1. April 1933 traf in Nordenham das Bekleidungshaus Mayer, die Fa. Robert Löwy und den Milchhandel Emanuel Pinto. In Einswarden und Friedrich-August-Hütte marschierte die SA nach einem „Umzug“ vor dem Kaufhaus Jacobsohn auf. SPD- und KPD-Mitglieder versuchten, den Boykott zu stören. Robert Löwy sah sich 1935 nach Boykottaktionen gezwungen, sein Geschäft zu verkaufen, und wanderte 1936 in die USA aus. Die Familie Pinto, die einen Viehhandel betrieb, emigrierte zwischen 1933 und 1936 in die Niederlande. Fünf der sechs Familienangehörigen kamen später in Auschwitz um. Die Familie Stoppelmann, die ebenfalls einen Viehhandel betrieb, emigrierte ebenfalls in die Niederlande. Drei Familienangehörige starben in Auschwitz, nur Eugen Stoppelmann überlebte. Der Textilkaufmann David Jacobsohn, Textilkaufmann in Einswarden, musste 1937 sein Geschäft verkaufen und verzog in demselben Jahr nach Bremen.

In den frühen Morgenstunden des 10. November 1938 befahl der Wilhelmshavener SA-Standartenführer Johannes Hinz dem Nordenhamer SA-Truppführer Osterthun telefonisch, sämtliche Juden zu verhaften und ihr Eigentum „sicherzustellen“. Osterthun alarmierte wiederum weitere Angehörige des SA-Reservesturms und Bürgermeister Dr. Emil Gerdes, der mit dem örtlichen Leiter der Gendarmerie Drebing über weitere Maßnahmen beriet. Die Familien Adalbert Mayer und Walter Friedemann wurden daraufhin von der SA, begleitet von Gerdes und Drebing, festgenommen. Frau Mayer und die beiden Kinder wurden am Vormittag wieder freigelassen. Die inhaftierten Männer wurden schließlich in das KZ Sachsenhausen abtransportiert. Everhard Lewenstein aus Burhave, evangelischer Konfession, aber nach den rassistischen Grundsätzen des Nationalsozialismus Jude, wurde in das Gerichtsgefängnis Nordenham überführt. Kurze Zeit nach seiner Entlassung starb er im Januar 1939. Julius Rosenberg, Schlachter und Viehhändler in Dedesdorf, beging am 17. November Selbstmord im Gefängnis Nordenham.

Auf der Titelseite der Butjadinger Zeitung vom 8. November 1938 wurde durch die Überschrift „Jüdischer Mordanschlag“ suggeriert, dass Herschel Grynszpan nicht als Einzeltäter gehandelt hatte. Archiv des Rüstringer Heimatbundes

Der Nordenhamer Textilkaufmann Adalbert Mayer konnte 1939 über Kuba in die USA emigrieren, seinem Angestellten Walter Friedemann gelang die Flucht in die Niederlande. Er kam später in Auschwitz um. Adolph und Emma Ossa waren 1930 von Oldenburg nach Nordenham gezogen. Sie kamen beide in Theresienstadt um. Karl-Richard Gutmann aus Einswarden und zwei Angehörige der Familie Gutmann, die als „Mischlinge 1. Grades“ galten, wurden 1944 in die Lager Farge (bei Bremen) und Lenne (bei Holzminden) deportiert. Am 17. März 1941 wurde die Jüdische Gemeinde Brake-Nordenham vom oldenburgischen Staat aufgelöst. Die überlebenden Emigranten kehrten nicht nach Nordenham zurück.

David Jakobsohn wurde am 28. November 1881 in Barenburg (Kr. Diepholz) geboren. Er eröffnete 1908 in Einswarden ein Herrenkleidungsgeschäft. Im Februar 1937 verkaufte er sein Geschäft und verzog nach Bremen. Dort wurde er beim Novemberpogrom festgenommen und in das KZ Sachsenhausen transportiert. Nach seiner Entlassung emigrierte er im Dezember 1938 nach Kolumbien.

Emil Gerdes wurde am 16. Juni 1903 in Stollhamm geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften trat er in den oldenburgischen Staatsdienst ein. NSDAP-Mitglied wurde er 1933. In demselben Jahr wurde er Mitglieder der SA, in der er den Rang eines Obertruppführers bekleidete. Von 1933 bis 1945 war er Bürgermeister in Nordenham. Er war in der Bundesrepublik bis zur Pensionierung als Landessozialgerichtsrat in Celle tätig. Er starb am 5. Mai 1997.

Über eine justizielle Ahndung ist nichts bekannt.

An sieben Standorten erinnern Stolpersteine an die verfolgten Juden aus Nordenham.

Christoph Heilscher, Auch Nordenhamer Juden wurden ins KZ verschleppt, in: Kreiszeitung Wesermarsch, 5. Nov. 1998.

Gerd Strachotta, Juden in der Wesermarsch 1933-1945, Oldenburg 1997.

Werner Vahlenkamp, Brake / Nordenham in: Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Bd. I, hg. v. Herbert Obenaus, Daniel Bankier u. Daniel Fraenkel, Göttingen 2005, S. 252-257.