November­pogrome
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1938 in Niedersachsen

Dornum

Nach dem Dreißigjährigen Krieg 1648 holte der Dornumer Herrlichkeitsbesitzer Gerhard von Closter einen jüdischen Hof- und Geldfaktor nach Dornum, der aber nur das Einfamilienwohnrecht bekam.

Als nach der großen Weihnachtsflut 1717 die ehemals reiche Herrlichkeit verarmt war, gestattete man den Zuzug mehrerer jüdischer Familien.

1721 erhielt die wachsende Gemeinde einen eigenen Friedhof, ab 1730 ist von einer Synagoge die Rede.

1841 wurde die heutige Synagoge gebaut. Die Bausumme wurde bei einem christlichen Geldverleiher aufgenommen, wobei die jüdischen Bürger ihr persönliches Hab und Gut verpfänden mussten.

1905 lebten in Dornum 85 Juden, das waren ca. 9 Prozent der Bevölkerung. 1904 wurden 20 jüdische Kinder in die neu erbaute jüdische Volksschule eingeschult. Nach dem Ersten Weltkrieg sank die Zahl der Schüler, so dass die Schule 1922 geschlossen und 1933 verkauft wurde.

Unter den Gefallenen des Ersten Weltkrieges waren auch fünf Söhne aus jüdischen Familien.

Mit dem Aufkommen des Antisemitismus Anfang der Dreißiger Jahre waren Verachtung und Ausgrenzung der Juden an der Tagesordnung. 1933 wurden dem Koscher-Schächter und Synagogenvorstand Aaron Wolffs die Schächtmesser durch einen Trupp SA aus dem Haus geholt und auf dem Marktplatz verbrannt.

Der Kaufmann Daniel Cohen wanderte mit seinem Sohn Hans, dessen Ehefrau Gertrud und dem zweijährigen Sohn Walter Daniel schon 1934 nach Palästina aus.

1935 wurde die Kirchstraße, in der die Synagoge steht, in Adolf-Hitler-Straße umbenannt.

Im selben Jahr floh auch der Schlachter Josef Hess nach Argentinien. Er besuchte ab 1952 regelmäßig seine alte Heimat.

Elkan Weinthal (links) als Soldat im Ersten Weltkrieg. (Archiv Georg Murra-Regner)

Am 10. November 1938 morgens gegen 5 Uhr wurde der SA-Sturmführer Bruns aus Dornum von dem Sturmführer Wedukin aus Norden telefonisch darüber informiert, dass die Norder Synagoge bereits brennen würde und alle Juden, egal welchen Alters, sofort zu verhaften wären.

Sturmführer Bruns verständigte sofort seinen Vertreter Tadema in Dornum und befahl ihm, in SA-Uniform zum Hotel „Zum Kronprinzen“ zu kommen, ebenso die weiteren Mitglieder der Dornumer SA. Bruns und Tadema waren im Begriff, die Synagoge sofort anzuzünden und hatten auch keine Bedenken wegen der dicht danebenstehenden Häuser.

Ob die Führer der Dornumer SA bereits wussten, dass die Synagoge zwei Tage vorher, am 7. November, von dem letzten Synagogenvorsteher Wilhelm Rose an den Besitzer des Nachbarhauses, Möbelhändler August Teßmer, verkauft war, lässt sich im Nachhinein nicht mehr feststellen.

Es waren ca. 30 SA-Leute vor der Synagoge versammelt. Teßmer behauptete, dass die Synagoge ihm gehörte, aber die gesamte Einrichtung noch den Dornumer Juden.

Daraufhin wurden die Fenster der Synagoge demoliert und die Bänke, die Bima sowie der Thoraschrein und die Ehrentafel der Gefallenen des Ersten Weltkrieges herausgebrochen und auf dem Marktplatz aufgeschichtet.

Trupps von SA-Leuten durchsuchten die Wohnungen der jüdischen Familien nach Waffen und Kriegsgeräten. Alle Wertgegenstände, Bargeldbeträge und Sparkassenbücher wurden den jüdischen Bewohnern abgenommen. Dabei fielen den Plünderern der SA auch die Thorarollen, die Gemeindebücher, die Heiligen Schriften sowie andere Kultgegenstände, die bei Wilhelm Rose gelagert waren, in die Hände. Diese Gegenstände wurden unter Absingen von Naziliedern zum Dornumer Marktplatz transportiert.

Gegen 8 Uhr wurden die Dornumer Juden mit einem Bus und unter Aufsicht einiger Dornumer SA-Leute nach Norden zum Schlachthof gefahren.

Kurz nach 10 Uhr kamen die jüdischen Frauen und Kinder vom Schlachthof zurück. Sie mussten sich sofort auf dem Marktplatz versammeln, wo sich schon eine größere Menschenmenge befand, darunter auch die Schulkinder.

SA-Sturmführer Bruns hielt eine Ansprache „gegen das Judentum“ und zündete die auf dem Marktplatz aufgeschichteten Gegenstände an.

Am folgenden Tag um 4.00 Uhr brachte die Gestapo die Dornumer jüdischen Männer mit anderen mit dem Autobus nach Oldenburg. Wie Vieh wurden sie durch die Stadt zum Bahnhof getrieben und mit dem Zug nach Berlin in das Konzentrationslager Sachsenhausen transportiert.

„Aufstellung über die Beträge, die von der SA-Standarte I von den anlässlich der Judenaktion sichergestellten Bargeldern in Abzug gebracht worden sind.“ Archiv Georg Murra-Regner

Die Dornumer Synagoge am 10. November 1938. (Archiv Georg Murra-Regner)

Ab Ende November 1938 wurden die jüdischen Männer Dornums nacheinander aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen entlassen. Sie mussten nachweisen, dass sie sich um eine Ausreise bemühten bzw. eine Ausreisegenehmigung bereits beantragt war oder schon vorlag. Ab dem 10. November 1938 durften keine jüdischen Schüler mehr nichtjüdische Schulen besuchen.

Der letzte Synagogenvorsteher Wilhelm Rose floh mit seiner Ehefrau Ilse 1939 in die USA, wo sie ihren Sohn Ernst wiederfanden, den sie mit einem Kindertransport nach England geschickt hatten.

1933 hatten 53 jüdische Personen in Dornum gelebt, davon wurden 31 ermordet. Die übrigen konnten emigrieren.

1940 verließen die letzten jüdischen Bewohner Dornum.

Wohnhaus der Familie Rose in Dornum, 1920.
(Archiv Georg Murra-Regner)

Der Viehhändler und Schlachter Elkan Weinthal, geboren am 27. Dezember 1888, der schwer verwundet aus dem Ersten Weltkrieg nach Dornum zurückkehrte, heiratete die aus Hessen stammende Rosa Speier am 6. Mai 1920 in Dornum, wo sie in der Kirchstraße 7 wohnten. Sie bekamen fünf Kinder: Willi, Brunhilde, Siegfried, Lieselotte und Karla.

Das jüngste Kind Karla wurde am 13. April 1937 eingeschult und besuchte die Dornumer Volksschule bis zum 10. November 1938. Seit diesem Tag war allen jüdischen Kindern der Besuch nichtjüdischer Schulen untersagt.

Aufgrund der Ausweisung aller Juden aus Ostfriesland zogen Rosa, Elkan, Brunhilde und Willi Weinthal nach Wunstorf in ein Hinterhaus. Karla und Lieselotte waren im Kinderheim in Hildesheim untergebracht, Siegfried besuchte verschiedene jüdische Umschulungslager. 1942 waren alle Kinder wieder bei ihren Eltern in Wunstorf wohnhaft.

Am 31. März 1942 wurde Familie Weinthal mit dem Deportationszug DA 6 in das Warschauer Ghetto deportiert.

Die gesamte Familie von Elkan Weinthal wurde von den Nationalsozialisten in Treblinka ermordet. Die Tochter Karla wurde nur 12 Jahre alt.

Karla Weinthal, geboren am 1. Juli 1930 in Nesse, ermordet 1942 in Treblinka. (Archiv Georg Murra-Regner)

Am 19. Mai 1897 heiratete Aaron Zwi Wolffs, geboren am 17. März 1872 in Großefehn, Eva Wolffs, geboren am 8. März 1872 in Hage. Eva Wolffs war die Tochter von Wolf Jakob Wolffs und Henriette Rose. Das Ehepaar hatte vier Kinder.

Aaron Zwi Wolffs war von 1904 bis 1916, von 1918 bis 1930 und von 1933 bis 1935 Vorsteher der Synagogengemeinde Dornum.

Aaron Zwi Wolffs verstarb am 21. Oktober 1935 in Dornum und wurde dort auf dem jüdischen Friedhof beerdigt.

Eva Wolffs wurde 1940 gezwungen, ihr Haus zu verkaufen. Sie wohnte zuerst bei ihrer Tochter Henriette in Wunstorf, zog dann aber am 29. Juli 1940 nach Kerpen zu ihrer Tochter Alma.

Am 16. Juni 1942 wurde Eva Wolffs mit anderen Juden von Köln-Deutz aus nach Theresienstadt deportiert. Dort verstarb sie nach der Befreiung am 13. Juni 1945.

Wolf Jakob und Henriette Wolffs vor ihrem Haus in Dornum, daneben die Enkelkinder Hermann, Henriette, Wilhelm und Alma. Henriette wurde nach Theresienstadt, Auschwitz und Stutthof deportiert, als Zeitpunkt ihres Todes wurde der 30. November 1944 festgelegt. Alma wurde mit ihrem Ehemann und der Tochter nach Malij Trostenez bei Minsk deportiert, wo sie ermordet wurden. Hermann und Wilhelm überlebten und emigrierten in die USA bzw. nach Südafrika. (Archiv Georg-Murra Regner)

Nach der Befreiung wurde Dodo Rose als Zeuge geladen, um im Rahmen eines Strafprozesses vor dem Landgericht Aurich gegen die wieder in Norden, Osteel und Dornum lebenden Täter auszusagen. Dodo Rose war am 2. September 1899 in Dornum geboren worden, lebte ab 1928 in Norden und emigrierte 1939 nach England. Er wollte nicht wieder nach Deutschland kommen, da er Repressalien befürchtete. Daher schilderte er 1950 vor dem Konsulat der Bundesrepublik Deutschland in Liverpool die Ereignisse am 9. November 1938.

Die Täter wurden des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, schwerer Freiheitsberaubung, schweren Landfriedensbruchs, räuberischer Erpressung und gemeinschaftlicher Körperverletzung angeklagt.

Von den 19 Angeklagten im Schwurgerichtsprozess vor dem Landgericht Aurich wurden drei Angeklagte zu Gefängnisstrafen von ein bis anderthalb Jahren verurteilt, das Verfahren gegen die übrigen wurde eingestellt.

Im Jahr 1947 erschien erstmalig ein Bericht in der „Westfälischen Rundschau“ über die Dornumer Synagoge, in dem schon damals gefordert wurde, die Synagoge wieder ihrer ursprünglichen Bestimmung zuzuführen. Es sollte aber noch über 40 Jahre dauern, bis es Bestrebungen gab, die Synagoge zu restaurieren.

1990 gründete sich der Verein „Synagoge Dornum“ mit den Satzungszielen: Erhaltung und Wiederherstellung der Synagoge in Dornum – Instandhaltung des jüdischen Friedhofs – Erstellung einer ständigen Ausstellung der jüdischen Geschichte Dornums. Im Februar 1991 wurde mit der Restaurierung begonnen, am 15. Dezember 1991 fand die festliche Wiedereinweihung zum 150. Jahrestag der Synagoge statt. Ein Dornumer Bürger hatte den originalen Eingangsstein der Synagoge aufbewahrt, der nun wieder eingesetzt werden konnte.

1992 fanden in Dornum Tage der Begegnung statt. Vier ehemalige jüdische Dornumer besuchten den Ort: Ilse Rose und ihr Sohn Ernst (USA), Aviva Kleinman (Israel) und ihr Sohn Ofer sowie Ruth Waechter (Schweden).

In den folgenden Jahren kamen immer wieder ehemalige jüdische Bürger zu Besuch. Eine besonders enge Freundschaft entstand mit Dan Cohen (Israel), der bis zu seinem Tod 2015 fast jedes Jahr einmal nach Dornum kam.

Am 20. Dezember 2011 wurde auf dem Dornumer Marktplatz ein Davidstern als Mahnmal in den Boden eingelassen, an der Stelle, an der am 9. November 1938 die Kultgegenstände verbrannt worden waren. An dieser Stelle findet in jedem Jahr am 9. November eine Gedenkveranstaltung statt, veranstaltet vom Verein „Synagoge Dornum“ e.V., Kirche, Gemeinde Dornum und Realschule Dornum.

Der auf dem Dornumer Marktplatz eingelassene Magen David. (Archiv Georg Murra-Regner)

Die Gedenkstätte „Synagoge Dornum“. (Archiv Georg Murra-Regner)

Georg Murra-Regner, Andrea Döhrer, Der jüdische Friedhof zu Dornum. Eine Dokumentation, Dornum 2009.

Dies., Die Weinthals – Das Schicksal einer jüdisch-ostfriesischen Familie, Dornum 2010.

Georg Murra-Regner, Die wiederhergestellten Gemeindebücher der ehemaligen jüdischen Gemeinde Dornum: Geburten, Trauungen, Sterbefälle von 1738-1938, Dornum 2011.

Ders., „Ostfriesland war auch unsere Heimat.“ 200 Jahre jüdisches Leben hinterm Deich, Dornum 2012.

Ders., „Wir haben also unseren Ruin vor Augen.“ Der Pogrom in Neustadtgödens vom 5. Mai 1782, Dornum 2014.

Ders., „Die Dornumer Synagoge brannte nicht.“ Dokumentation, Dornum 2015.

Ders., „Wir sind und wollen nur noch Deutsche sein.“ Die Rechtsstellung der Juden in Ostfriesland, Dornum 2016.

Gedenkstätte Synagoge-Dornum e.V.

 

Kontakt:

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Tel.: 04933 342

Gedenkstätte Synagoge-Dornum e.V.