November­pogrome
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1938 in Niedersachsen

Wilhelmshaven und Rüstringen

Parallel mit dem Aufbau eines preußischen Marinestützpunkts am Jadebusen entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zwei unmittelbar benachbarte Städte: Wilhelmshaven auf preußischem und Rüstringen auf oldenburgischem Gebiet. Deren Einwohnerzahl stieg schnell an und betrug 1911 bereits 66.000. Am 1. April 1937 erfolgte der Zusammenschluss beider Städte unter dem Namen Wilhelmshaven.

Jüdische Einwohner sind erstmals 1875 in Wilhelmshaven nachweisbar. Die vier Familien waren zunächst der Synagogengemeinde Neustadtgödens im preußischen Ostfriesland angegliedert, gründeten jedoch bald eine eigene „Israelitische Vereinigung Wilhelmshaven“. Auch in Rüstringen waren seit Ende des 19. Jahrhunderts Juden ansässig; hier wurde 1905 offiziell eine jüdische Gemeinde gegründet.

1911 wurden die jüdischen Gemeinden von Rüstringen und Wilhelmshaven vereinigt. Ihre Mitgliederzahl betrug etwa 130 Personen. Die Gottesdienste fanden in Privaträumen und Sälen von Gaststätten statt, bis im Jahr 1915 in der Börsenstraße eine große repräsentative Synagoge mit 400 Plätzen für die Mitglieder der jüdischen Gemeinde sowie die auf den Schiffen der kaiserlichen Flotte in Wilhelmshaven stationierten jüdischen Marinesoldaten errichtet wurde.

1925 erreichte die jüdische Bevölkerung in Wilhelmshaven und Rüstringen mit 239 Personen ihre Höchstzahl; 1933 zählte sie noch 191 Personen. Die etwa 100 jüdischen Familien lebten überwiegend vom Einzelhandel und wurden von den Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte schwer getroffen. In der Folge zogen viele Familien in größere Städte oder wanderten aus.

Weitere judenfeindliche Aktionen folgten im Sommer 1935. Unbekannte nagelten den Kopf, den Schwanz und das Geschlechtsteil eines Schweines an die Türen der Synagoge. Jüdische Geschäfte wurden mit antisemitischen Parolen beschmiert, vor dem Kaufhaus Wallheimer postierten sich Personen, die Schilder mit der Aufschrift „Deutsche, kauft nicht bei Juden“ trugen. Auf dem Markt richtete die Stadt ein separates Areal für jüdische Händler ein. Da die Kinder an den öffentlichen Schulen zunehmend Beschimpfungen und Drangsalierungen ausgesetzt waren, richtete der Landesrabbiner 1937 eine zentrale jüdische Volksschule für das Land Oldenburg ein.

Ende Oktober 1938 war das Ehepaar Hirschberg mit seiner Tochter Lucie von der Ausweisung der polnischen Juden betroffen.

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 wurde die Synagoge mit Benzin in Brand gesetzt. Die Feuerwehr sicherte die angrenzenden Gebäude. Da das Feuer nicht die gewünschte Wirkung hatte, wurde das Gebäude am Vormittag des 10. November erneut angezündet und wurde völlig zerstört. Vier jüdische Geschäfte wurden in der Pogromnacht geplündert. Ein „Aufholtrupp“ der SA holte jüdische Bürger aus ihren Wohnungen und trieb sie, von Beschimpfungen und Steinwürfen zahlreicher Zuschauer begleitet, in die „Jahnhalle“. Einigen wurden Pappschilder mit der Aufschrift „Ich bin eine Judensau“ umgehängt. Während Frauen, Kinder und ältere Männer am folgenden Tag wieder nach Hause gehen durften, wurden 34 Männer am 11. November geschlossen zum Bahnhof geführt und zum KZ Sachsenhausen abtransportiert. Hauptverantwortliche für die Pogrommaßnahmen waren der SA-Standartenführer Hinz, der NSDAP Kreisleiter Meyer, der Gestapobeamte Kirschner und der Führer des örtlichen NSKK, Gunkel.

1939 lebten noch 79 vor allem ältere Juden in Wilhelmshaven. Die meisten wurden 1940 im Zuge der „Evakuierung“ der jüdischen Bevölkerung aus Oldenburg/Ostfriesland abtransportiert. Zwei mit „Ariern“ verheiratete Jüdinnen wurden schließlich im Februar 1945 nach Theresienstadt deportiert.

Wegen der Ausschreitungen im Zusammenhang mit dem Pogrom standen nach dem Krieg einige der Täter vor Gericht; der NSDAP-Kreisleiter Ernst Meyer wurde zu zwei Jahren, der NSKK-Sturmführer Gunkel zu 16 ½ Monaten Haft verurteilt. Die Verfahren gegen die übrigen Verantwortlichen wurden eingestellt.

Der Standort der im Frühjahr 1939 abgetragenen Synagoge in Wilhelmshaven (heute „Synagogenplatz“) wurde in den 1970er Jahren als Gedenkort hergerichtet. 1980 wurde auf Initiative der evangelischen Kirchengemeinde ein Mahnmal eingeweiht. 2008 wurde die Gedenkstätte um zwei Stelen mit den Namen von 116 ermordeten Juden aus Wilhelmshaven ergänzt. Eine Informationstafel liefert Details zur Geschichte der Juden in Wilhelmshaven und der Synagoge. An der „Jahnhalle“ ist eine Gedenktafel für die in das KZ Sachsenhausen deportierten Männer angebracht.

Weiterführende Literatur und Links

Alicke, Klaus-Dieter: Lexikon der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum, Bd. 3, Gütersloh 2008.

Büsing, Hartmut, „… so viel unnennbare Leiden erduldet“. Zur Geschichte der Wilhelmshavener und Rüstringer Juden, Wilhelmshaven 1986.

Obenaus, Herbert u.a. (Hrsg.), Historisches Handbuch der jüdischen Gemeinden in Niedersachsen und Bremen, Band II, Göttingen 2005, S. 1551-1561.

Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum: Wilhelmshaven (Niedersachsen)

Alemannia Judaica: Wilhelmshaven mit Bant und Rüstringen (Niedersachsen). Jüdische Geschichte / Synagoge  

GröschlerHaus – Zentrum für Jüdische Geschichte und Zeitgeschichte der Region Friesland / Wilhelmshaven:

Autor: Dr. Rolf Keller, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten

1938 in Niedersachsen

Dannenberg

Kontinuierlich lebten jüdische Familien ab Anfang des 18. Jahrhunderts in Dannenberg. Um 1871 zählte die jüdische Gemeinde in der Stadt knapp 70 Mitglieder. Mittelpunkt war seit den 1840er Jahren eine neu errichtete Synagoge am Schlossgraben. Ein benachbartes Fachwerkhaus diente als Schule und Lehrerwohnung. Der Synagogengemeinde Danneberg gehörten auch Juden aus den benachbarten Kommunen Lüchow, Wustrow, Hitzacker, Schnackenburg und Gartow an.

Einen jüdischen Friedhof im nahegelegenen Dorf Prisser gab es bereits ab 1742. Die letzte Bestattung fand dort 1899 statt. Der Friedhof blieb mit 45 Grabsteinen bis heute erhalten.

Bereits in den 1870er Jahren setzte eine starke Abwanderung der jüdischen Familien aus Dannenberg ein. 1911 wurde die Synagoge verkauft und anschließend abgerissen. Ab den 1920er Jahren lebten nur noch zwei jüdische Familien in der Stadt. Sie schlossen sich der Synagogengemeinde Lüneburg an.

Es liegen keine Informationen über die lokalen Ereignisse während der Novemberpogrome 1938 vor. Bei Kriegsbeginn lebten in Dannenberg keine Juden mehr.

Weiterführende Literatur und Links

Aus der Geschichte der jüdischen Gemeinden im deutschen Sprachraum: Dannenberg (Niedersachsen)

Autor: Dr. Jens-Christian Wagner, Stiftung niedersächsische Gedenkstätten